Voodoo Holmes Romane (German Edition)
zu klein, platzten fast wie Wursthaut auf den schweren Gliedern. Als der Eisverkäufer durch die Reihen ging, winkte er ihn zu sich und erstand gleich fünf Eistüten auf einmal, wobei er sich das Süßzeug fast in einem Aufwasch in den Mund stopfte. Es mochte Einbildung sein, aber man hatte den Eindruck, daß der Raum sehr kühl war, weil er da saß. Es war seine eisige Ausstrahlung, die jeden Versuch, hier herinnen zu heizen, lähmte.
Darauf wurde es in dem Raum wieder dunkel und man kündigte mit großen Lettern auf der Leinwand das Lichtspiel „An Afternoon by the Seashore“ an. Es mußte sich dabei um einen ganz besonderen Film mit Stammpublikum handeln, denn einige Pfiffe begleiteten diese Ankündigung. Links von der Leinwand stand ein altes Klavier, das immer lauter anschwoll, bevor es dann mit den ersten Szenen eines Familienausflugs weiterging, und die Melodie hüpfend, lieblich und zurückhaltend wurde.
Da war der Familienvater, die Familienmutter, die Kinder – und (ein Stöhnen ertönte in den vorderen Sitzreihen) – ein Kindermädchen. Ja, es war da, und erstaunte Ausrufe waren nun ringsum zu hören. Die Fangemeinde erkannte den Film nicht mehr, denn wie mir Elin schon während unseres Gespräches berichtet hatte, bezog dieser Film seine Attraktivität beim Publikum vor allem aus der Tatsache, daß ein Gespenst in ihm mitwirkte, ein Kindermädchen, das unsichtbar war. Diese Besonderheit war nun verlorengegangen, und das Lichtspiel war so banal geworden wie viele andere von dergleichen Streifen. Die Handlung war simpel. Man hielt ein Picknick ab, die Kleinen spielten in den Wellen, wurden ermahnt, dann wurde einmal vorgelesen, schließlich packte man alles zusammen und kehrte wieder zu dem Wagen zurück, der oben auf der Küste abgestellt war und fuhr die lange Landstraße in die Stadt zurück. Protestrufe, Pfiffe und das entsetzliche Stöhnen, das wir bereits am Anfang gehört hatten, übertönte das Klavierspiel, und das solange, daß der Musiker schließlich entnervt damit aufhörte, den Klavierdeckel niederschlug und den Raum verließ. Dieser war in Aufruhr. Während der Film lief, waren schon mehrere Zuschauer zurück zum Projektor gesprungen, um auf die Veränderung aufmerksam zu machen. Der Vorführer erklärte sich in quäkendem Französisch für unschuldig und lieferte atemlose Erklärungen. Unsere Aufmerksamkeit aber richtete sich immer noch auf die Leinwand, denn wir trauten kaum unseren Augen: Es war tatsächlich Elin, die da das Kindermädchen gab, das allerdings in höchst unpassender Weise. Sie war etwas zu alt und viel zu herrschaftlich in ihrem Gebaren für diese Rolle. Eine klägliche Schauspielerin, die hier quasi zwischen die Kulissen gestolpert war. Es war auch eine Geistesabwesenheit in ihrem Spiel, das es als undenkbar erscheinen ließ, daß man sie jemals für geeignet gehalten haben könnte. Vielleicht war die Schauspielerin, die da vor uns auf der Leinwand zu sehen war, die Ehefrau oder Geliebte des Regisseurs gewesen und passte gar nicht in die Szene, war aus Gefälligkeit in die Equipe der Schauspieler aufgenommen worden. Die einzige Erklärung, freilich auf irrationaler Ebene, blieb die, daß Elin tatsächlich vor elf Jahren als junges Mädchen diesem Film entsprungen und nun als reife Frau in ihn zurückgekehrt war. Wie sie das getan hatte, blieb uns unklar.
Holmes und ich sahen uns an. Sie hatte sich uns entzogen. Ich sage uns, und meine doch mir. Uns, und allen anderen. Jetzt würden wir nie genauer erkennen, was die kleine Locke in ihrem Intimbereich bedeutete, und welcher Mechanismus es war, mit dem sie durch das Abrasieren dieser Locke einen Gott heranrief. Vielleicht lag die
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