Voodoo
mit Steinen ein, nur dass sie nicht so treffsicher waren wie die Kleinen und ihre Würfe weit daneben gingen, die versteinerten menschlichen Kreuze trafen und ins Wasser schickten oder aber die Besessenen, sodass die entweder auf der Stelle exorziert waren oder von noch heftigeren dämonischen Krämpfen geschüttelt wurden.
Dann wurde Dreadlocks an der Hand getroffen. Er ließ die Dose fallen, die im Wasser untertauchte und erst einige Meter weiter wieder an die Oberfläche kam.
Der Mann stürzte hinterher, rannte, so schnell er konnte, durchs Wasser, gefolgt von einer Steinsalve und einigen wenigen mutigen Pilgern, die in dem Glauben, er wolle fliehen, mit Stöcken hinter ihm her waren, aber sich nicht allzu viel Mühe gaben, ihn einzuholen.
Dann war er aus dem Blickfeld verschwunden.
Als klar war, dass er nicht zurückkommen würde, kehrte wieder Normalität ein. Die Geister ergriffen erneut Besitz von den Körpern, die sie kurz zuvor verlassen hatten, die Pilger wateten zurück in den Fluss, um sich einzuseifen und die Felsen zum Wasserfall zu erklimmen, und die Kinder am Ufer widmeten sich wieder ihren Körben.
Chantale kam zurück an Land. Max reichte ihr ein Handtuch und frische Kleider aus dem Korb.
»Was heißt Iwa? «, fragte Max und sah zu, wie sie sich die Haare trocknete.
» Iwa? Das sind Helfer des Teufels. Leute, die mit den Bokors zusammenarbeiten«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, dass das einer war. Wahrscheinlich nur ein ganz normaler Spinner. Davon gibt’s reichlich. Besonders hier. Wenn die herkommen, sind sie noch völlig normal, dann werden sie von einem Geist besessen und gehen nie wieder weg.«
»Was wollte er von mir?«
»Vielleicht hat er Sie für einen Loa gehalten, einen Gott«, sagte sie und zog sich einen Sport-BH an.
»Das wär ja mal was Neues«, lachte Max, doch die Szene ging ihm nicht aus dem Kopf. Er war sich sicher, dass der Mann wusste, wer er war, was er hier tat und wen er suchte. Er hatte das an der Art gesehen, wie er ihn am Anfang angestarrt hatte, wie er ganz bewusst seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Erst dann war er auf ihn zugekommen. Und was war in der Blechdose?
36
Clarinette war ein Dorf, das sich anschickte, eine kleine Stadt zu werden. Der Ortskern lag auf einem Hügel mit Blick auf die Wasserfälle, die Hänge waren übersät von einem Durcheinander aus kleinen Häusern, Hütten und Holzverschlägen. Sie waren so willkürlich angeordnet, dass sie aus der Ferne an die verlorene Fracht eines längst entschwundenen LKWs erinnerten.
Als sie aus dem Wagen stiegen, blieben die Leute stehen, um sie anzustarren. Die Erwachsenen musterten sie von oben bis unten und nahmen den Landcruiser in Augenschein. Dann widmeten sie sich wieder ihren Geschäften, als hätten sie das alles schon mal gesehen, seien aber nach wie vor an den neuesten Versionen interessiert. Die Kinder rannten weg. Besonders vor Max hatten sie Angst. Einige liefen los, holten ihre Eltern und zeigten auf ihn, andere riefen ihre Freunde und kamen zusammen in geduckter Haltung näher, kleine Banden Dreikäsehochs, die schreiend wegrannten, sobald er sie ansah. Max fragte sich, ob sie nur deshalb Angst vor ihm hatten, weil sie noch nie einen Menschen wie ihn gesehen hatten, oder ob ihnen das Misstrauen gegen Weiße in den Genen steckte, ein fester Bestandteil ihrer DNS.
Das höchste Gebäude in Clarinette war die imposante Kirche, ein senfgelber Rundbau aus Stahlbeton mit Reetdach und einem einfachen schwarzen Kreuz auf der Spitze. Viermal so groß wie das nächstgrößere Gebäude – ein blauer Bungalow –, ließ sie die Lehm- und Blechhütten, die sich um sie herum angesiedelt hatten, noch kleiner erscheinen. Da die Kirche mitten im Ort stand, vermutete Max, dass sie als Erstes erbaut worden und das Dorf um sie herum gewachsen war. Sie sah nicht älter aus als fünfzig Jahre.
Das Kreuz ragte fast bis in die Wolken, die unglaublich tief hingen und eine undurchdringliche Glocke über dem Dorf bildeten, die die Sonne, auch wenn sie an ihrem höchsten Punkt stand, nicht durchdringen konnte.
Die Luft war frisch, gesunde Nuancen von Orangen und wilden Kräutern überlagerten den Geruch der Holzfeuer und die Essensdüfte. Über dem Lärm der Menschen, die ihren Geschäften nachgingen, war das unaufhörliche Tosen des Wasserfalls wenige Meilen weiter unten zu hören. Das gewaltige Donnern kam im Dorf als beharrliches Gurgeln an, wie Wasser, das in einen Abfluss läuft.
Sie machten
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