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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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zurück auf der Erde. Es war ihm peinlich, dass sie ihn beim Glotzen erwischt hatte.
    Chantale trat mitten in den Wasserfall hinein, direkt unter den inneren Rand des Regenbogens, wo das Wasser am kräftigsten und am schwersten fiel. Max sah sie nicht mehr, verwechselte sie ein ums andere Mal mit anderen Badenden. Die Silhouetten der Menschen wurden vom Sprühnebel verwischt. Manchmal sah es aus, als wären da ganz viele Menschen bei ihr, dann plötzlich hatte es den Anschein, als sei der Wasserfall komplett leer, als wären die Pilger wie Schmutz aufgelöst und vom Wasser weggewaschen worden, wie ihre Kleider, die im Fluss trieben.
    Während er nach Chantale Ausschau hielt, wurde seine Aufmerksamkeit von ihr weg nach links gezogen. Er spürte, dass er von dort beobachtet wurde. Und zwar nicht aus Neugier oder Verwunderung, wie er von vielen Leuten auf dem Weg zum Fluss angesehen worden war. Vielmehr wurde er von einem geübten Auge taxiert und eingeschätzt. Er kannte das Gefühl, weil er als Polizist gelernt hatte, einen solchen Blick zu erkennen. Die meisten Kriminellen waren maßlos paranoid und liefen mit einem natürlicherweise erhöhten Misstrauen durch die Welt, genau wie Blinde ein besser entwickeltes Gehör und einen besseren Geruchssinn haben. Auch sie wussten, wann sie beobachtet wurden, sie konnten andere Menschen in ihrer Nähe spüren, konnten jedem ihrer Atemzüge folgen und jedem ihrer Gedanken nachgehen. Deshalb wurde Polizisten die »Oberste Regel der Observation« eingeschärft: das Zielobjekt niemals direkt ansehen, sich immer auf eine Stelle fünf Grad weiter rechts oder links fokussieren, ohne die Hauptattraktion aus dem Blickfeld zu verlieren.
    Der Kerl, der ihn da anstarrte, hatte diese Regel offensichtlich nicht gelernt. Und auch die andere wichtige Regel hatte ihm niemand beigebracht: immer im Verborgenen bleiben; sehen, aber nicht gesehen werden.
    Er stand auf einem Felsen, ein Stück abseits des donnernden Wassers, halb vom Sprühnebel verhüllt. Ein großer, schlanker Mann in zerschlissenen blauen Hosen und einem langärmeligen Rolling-Stones-T-Shirt mit zerrissenem und ausgefranstem Saum. Ohne den geringsten Ausdruck auf dem Gesicht, das unter den schulterlangen Dreadlocks, die ihm wie die Beine einer toten Riesen-Tarantel vom Kopf hingen, kaum zu erkennen war, starrte er Max unverwandt an.
    Chantale stand wieder unten auf den Felsen, sie schüttelte sich das Wasser aus dem Haar und kämmte es mit den Fingern nach hinten. Dann watete sie durch den Fluss wieder auf Max zu.
    Im gleichen Moment sprang auch der Kerl mit den Dreadlocks ins Wasser und kam ebenfalls auf ihn zu. Er hielt etwas in der Hand, das nicht nass werden sollte: Er hob es hoch in die Luft. Die Pilger, die sich nicht in einem anderen mentalen Universum befanden, gingen ihm aus dem Weg und warfen sich besorgte Blick zu. Einige eilten zurück zum Ufer. Eine von einem Geist besessene Frau stürzte sich auf ihn und packte nach dem, was er da hielt. Er schlug ihr mit dem Ellbogen ins Gesicht, sodass sie rücklings ins Wasser fiel. Die Geister verließen ihren Körper, als sie mit blutüberströmtem Gesicht zurück an Land krabbelte.
    Als der Mann näher kam, bedeutete Max Chantale mit einer Geste, zu den Felsen zurückzugehen. Der Kerl war schon fast am Ufer. Max dachte kurz daran, seine Waffe zu ziehen und auf ihn zu richten, damit er stehen blieb, aber wenn der Typ verrückt war, würde das nicht viel nützen. Manche Leute legten es drauf an, über den Haufen geschossen zu werden, weil sie nicht den Mumm hatten, sich selbst aus ihrem Elend zu erlösen.
    Dreadlocks wurde langsamer und blieb direkt vor Max stehen, noch knöcheltief im Wasser. Er streckte ihm hin, was er in der Hand hielt: eine zerdellte, verrostete Blechdose mit einer großen blauen Rose darauf, die noch nicht ganz abgeblättert war.
    Max wollte gerade auf ihn zugehen, als ein großer Stein durch die Luft flog und Dreadlocks seitlich am Kopf traf.
    » Iwa ! Iwa !«
    Die verängstigten Schreie von Kindern, direkt hinter Max.
    Plötzlich prasselte ein Steinhagel auf den Mann ein, alle Geschosse mit überraschender Präzision geworfen, alle trafen ihr Ziel.
    Max duckte sich und lief das Ufer hoch, wo die Steinewerfer sich zusammengerottet hatten: eine kleine Gruppe Kinder, der älteste vielleicht zwölf.
    » Iwa ! Iwa !«
    Anscheinend wirkte das als Ermutigung für die Pilger, die bisher nur reglos dagestanden und gegafft hatten. Auch sie deckten den Mann jetzt

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