Voodoo
ist ein Kind aus der reichen Gesellschaft. Auf einmal interessiert sich alle Welt dafür. Das ist genau wie hier in Miami. Wenn ein schwarzes Kind verschwindet, wen kümmert’s? Vielleicht ziehen ein oder zwei Lokalpolizisten los und suchen nach ihm. Aber wenn es um ein weißes Kind geht, wird die Nationalgarde gerufen.«
»Mit allem Respekt, Pater, das stimmt nicht ganz, auch wenn es manchmal vielleicht so aussieht«, sagte Max mit möglichst ruhiger Stimme. »Und bei mir war es nie so, als ich hier noch Polizist war. Nie .«
Der Priester sah ihm einen Moment lang fest in die Augen, und sein Blick schien Wahrheit von Lüge unterscheiden zu können. Er streckte Max die Hand hin, und sie tauschten einen festen Händedruck. Dann segnete ihn Vater Thodore und wünschte ihm alles Gute.
»Bringen Sie sie zurück«, flüsterte er.
Zweiter Teil
7
Der Flug nach Haiti verzögerte sich um eine Stunde, weil man auf einen abgeschobenen Strafgefangenen und seine beiden US-Marshals warten musste.
Das Flugzeug war so gut wie ausgebucht, überwiegend von Haitianern, fast nur Männern, die mit Taschen voller Lebensmitteln, Seife und Kleidern und unzähligen Kartons mit billigen Elektrowaren gen Heimat flogen: Fernseher, Radios, Videorekorder, Ventilatoren, Mikrowellenherde, Computer, Ghettoblaster. Sie hatten ihre Einkäufe mehr schlecht als recht in die Gepäckfächer über ihren Köpfen oder unter die Sitze gestopft oder entgegen allen Sicherheitsvorschriften im Gang deponiert, wenn sie sonst nirgends hinpassten.
Die Stewardessen protestierten nicht. Anscheinend waren sie Kummer gewöhnt. Mit kerzengeradem Rücken und professionellem Lächeln absolvierten sie den Hindernislauf an den verschiedenen Markennamen vorbei, ohne je die Contenance zu verlieren, auch wenn es noch so eng wurde.
Die Ausgewanderten, die zu Besuch nach Hause flogen, waren von den Einheimischen auf Anhieb zu unterscheiden. Erstere hatten sich im üblichen Ghetto-Outfit ausstaffiert: Goldketten, goldene Ohrringe und Armbänder – sie hatten mehr Gold am Körper als Geld auf der Bank. Letztere waren eher konservativ gekleidet, die Männer in billige, aber ordentliche Hosen und kurzärmelige Hemden, die Frauen wie für den Kirchgang am Mittwoch.
Die Stimmung war lebhaft, die Verspätung schien niemanden zu stören. Alles unterhielt sich laut und vernehmlich, die widerstreitenden Rhythmen des Kreolischen sprangen zwischen den Gesprächspartnern hin und her und schallten aus jeder Ecke des Flugzeugs. Jeder schien jeden zu kennen. Mit vereinten Kräften übertönten sie mit ihren tiefen, kehligen Stimmen die übliche Flugzeugbedudelung und alle drei Durchsagen des Piloten.
»Die meisten dieser Leute leben in Häusern ohne Strom«, sagte die Frau auf dem Fensterplatz neben Max. »Sie kaufen das ganze Zeug nur zur Zierde, als Statussymbol – wie wir eine Skulptur oder ein Gemälde kaufen würden.«
Sie hieß Wendy Abbot. Sie lebte seit fünfunddreißig Jahren mit ihrem Mann George in Haiti. Die beiden leiteten in den Bergen über Port-au-Prince eine Grundschule, die Arm und Reich offen stand. Die reichen Eltern zahlten in bar, die armen in Naturalien. Am Ende jedes Jahres hatten sie Gewinn gemacht, weil die wenigsten Armen sich um Bildung scherten oder auch nur eine vage Ahnung hatten, wozu das gut sein sollte. Viele ihrer Schüler gingen danach entweder auf die Union School , wo sie nach amerikanischem Lehrplan unterrichtet wurden, oder auf das teurere und renommiertere Lycée Français , wo man sie auf das französische Abitur vorbereitete.
Max hatte sich ihr vorgestellt und es beim Namen belassen.
In der Mitte des Flugzeugs saßen etwa fünfzig kanadische Soldaten, Angehörige des UN-Friedenskorps, ein Meer aus verschwitzten roten und weißen Gesichtern mit linksgerichtetem Seitenscheitel und Schnurrbärten à la Village People. Still, verkrampft und kreuzunglücklich hockten sie inmitten der lärmenden Menschen, an deren Unterjochung sie mitgewirkt hatten. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hätte man schwören können, es sei umgekehrt.
Begleitet von seiner zweiköpfigen Eskorte und dem lauten Klirren dicker Ketten kam der Strafgefangene an Bord. Max musterte ihn: schwere Jeans, kein Gürtel, weites weißes T-Shirt, blauweißes Kopftuch, kein Gold, keine Brillanten – ein Bandenmitglied der unteren Ränge, wahrscheinlich beim Crack-Dealen erwischt oder nach seinem ersten Auftragsmord, noch mit dem frischen Gestank von starkem Haschisch und
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