Voodoo
hier nicht. Es ist mehr eine Lebensart. Das Servile liegt den Haitianern in den Genen. Es ist sinnlos, die Natur reformieren zu wollen«, sagte Carver. »Ich behandle meine Leute so gut wie möglich. Ich lasse ihre Kinder zur Schule gehen. Viele von denen haben einiges erreicht, sie gehören jetzt einer bescheidenen Mittelschicht an – in den USA natürlich.«
»Und Emmanuel?«
»Er war sehr helle, aber er hatte eine Schwäche für Frauen. Hat ihn immer vom Wichtigen abgelenkt.«
»Seine Mutter war bestimmt sehr stolz auf ihn.«
»Wäre sie sicher gewesen. Sie starb, als er fünfzehn war.«
»Das ist bitter«, sagte Max.
Gustav drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Das Dienstmädchen kam zurück. Sie brachte eine CD und legte sie vor Max auf den Tisch. Frank Sinatras Duets , mit einem persönlichen Autogramm für Gustav in blauer Tinte.
»Vielen Dank«, sagte Max.
»Ich hoffe, sie gefällt Ihnen«, sagte Carver. »In Ihrem Haus müsste es auch einen CD-Spieler geben.«
Sie sahen einander über den Tisch hinweg an. Max mochte den alten Mann, obwohl er Zeuge seiner nicht zu leugnenden Grausamkeit geworden war. Er mochte ihn fast gegen seinen Willen. Gustav hatte eine Grundehrlichkeit an sich, die einen immer wissen ließ, wo man stand.
»Ich würde Ihnen einen Kaffee anbieten, aber ich glaube, ich muss langsam ins Bett«, sagte Carver.
»Kein Problem«, antwortete Max. »Nur noch eins: Was können Sie mir über Vincent Paul erzählen?«
»Über den könnte ich die ganze Nacht reden – auch wenn das meiste Sie nicht interessieren dürfte«, sagte Carver. »Aber ich sage Ihnen so viel: Ich bin überzeugt, dass er hinter Charlies Entführung steckt. Ich glaube nicht nur, dass er es organisiert haben könnte , sondern dass er der Einzige ist, der das auch tun würde.«
»Und warum?«
»Er hasst mich. Wie viele andere auch. Ist ein Lebensrisiko.« Carver grinste.
»Ist er verhört worden?«
»Wir sind hier nicht in Amerika«, lachte Carver. »Wer würde es denn wagen, zu ihm zu gehen und mit ihm zu reden? Die mutigsten Männer scheißen sich in die Hose, wenn sie nur den Namen dieses Affen hören.«
»Aber Mr. Carver«, sagte Max, »Sie … ein Mann in Ihrer Position, Sie hätten doch sicherlich Leute bezahlen können, die …«
»Die was, Max? Ihn umbringen? Ihn verhaften? Unter welcher Anklage – um in Ihren Worten zu sprechen? Verdacht auf Entführung meines Enkels? Das ist zu wenig.
Glauben Sie mir, ich habe alle Möglichkeiten ausgelotet, seiner habhaft zu werden – um ihn zu verhören , wie Sie es nennen. Es ist unmöglich. Vincent Paul ist zu groß hier, zu mächtig. Wer diesen Mann ohne Grund verhaftet, riskiert einen Bürgerkrieg. Aber wenn ich Beweise hätte, könnte ich ihn festnehmen lassen. Also bringen Sie mir die Beweise. Und bringen Sie uns den Jungen zurück. Bitte. Ich flehe Sie an.«
12
Zurück im Wagen, auf dem Weg den Berg hinunter Richtung Pétionville, gab Max einen tiefen Seufzer der Erleichterung von sich. Er war froh, aus dem Haus zu sein. Und er hoffte, nie mehr mit den Carvers zu Abend essen zu müssen.
Er hatte gar nicht gemerkt, wie sehr die Anspannung des Abends ihm zugesetzt hatte. Das schweißnasse Hemd klebte ihm am Innenfutter des Jacketts, und hinter seinen Augen bildete sich ein Kopfschmerz, der vom Stress kam. Er musste Spazierengehen, frische Luft atmen, allein sein, zur Ruhe kommen – um nachdenken und sich ein Bild machen zu können.
Er ließ sich von den Leibwächtern an der Bar absetzen, die er auf dem Hinweg gesehen hatte. Sie waren nicht sehr erbaut darüber. »Ist nicht sicher«, sagten sie und beharrten darauf, dass sie Anweisung hätten, ihn nach Hause zu bringen. Max spielte mit dem Gedanken, ihnen zu ihrer Beruhigung seine Waffe zu zeigen, doch dann beließ er es dabei zu versichern, dass alles in Ordnung sei und er ja nicht mehr weit vom Haus.
Ohne ein Wort des Abschieds fuhren sie davon. Max sah ihnen nach, ihre Rücklichter verschwanden schneller in der Nacht als ein Penny im Brunnen. Er schaute die Straße hinauf und hinunter, um sich zu orientieren.
Am Fuße der Straße lag das Zentrum von Pétionville, der Kreisverkehr und der Marktplatz, von hellen, orangefarbenen Neonlampen erleuchtet und komplett verlassen. Zwischen ihm und dem Marktplatz herrschte fast vollkommene Dunkelheit, nur hier und da von vereinzelten nackten Glühbirnen über einem Hauseingang oder in einem Fenster, von kleinen Feuern am Straßenrand und ab und an
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