Voodoo
einem Scheinwerfer unterbrochen. Max wusste, dass er einer Seitenstraße bis zum Impasse Carver folgen musste, der ihn zum Haus führen würde. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sich von den Leibwächtern hätte zurückfahren lassen sollen: Nicht nur würde es verdammt schwer sein, in der Dunkelheit das Tor zu finden; schlimmer noch war, dass er nicht mehr wusste, welche Straße zu seinem Haus führte. Er sah mindestens vier, aus denen er wählen konnte.
Er würde den Hügel hinuntergehen und eine Straße nach der anderen ausprobieren müssen, bis er die richtige gefunden hatte. Er erinnerte sich, dass er sich in jüngeren Jahren öfter in solche blöden Situationen hineinmanövriert hatte, immer betrunken und breit, wenn er keine Frau hatte abschleppen können. Er hatte immer heil und sicher nach Hause gefunden. Es würde schon gutgehen.
Aber zuerst brauchte er etwas zu trinken. Nur einen – vielleicht ein Glas von dem Sechs-Sterne-Deluxe Barbancourt, den der alte Carver ihm angeboten hatte. Der würde ihn sicher nach Hause geleiten, würde ihm auf dem Weg beistehen und ihm die Angst nehmen, die sich flüsternd in seinem Kopf zu Wort meldete. Er sah Clyde Beeson in seiner Windel vor sich und fragte sich, was mit Darwen Medd passiert war. Er dachte an Emmanuel Michelange mit seinem abgeschnittenen Schwanz im Mund und überlegte, ob er wohl noch am Leben gewesen war, als man ihm das angetan hatte. Und er dachte an Boukman, der vielleicht irgendwo hier auf dieser Straße hockte, vielleicht an einem der kleinen Feuer, der ihn beobachtete und wartete.
Von außen war das La Coupole ein kleines, hellblau gestrichenes Haus mit verrostetem Wellblechdach, an dessen Dachrinne eine Kette flackernder bunter Glühbirnen hing, genau wie um das Schild, das aus zwei Holzplanken bestand und auf dem in chaotischen weißen Lettern der Name der Bar prangte, halb in Blockbuchstaben, halb in Schreibschrift, manche gerade, manche schief. Die Hauswand wurde von kleinen Scheinwerfern angestrahlt, sodass die Risse im Beton gut zu sehen waren. Die Fenster waren vernagelt. Auf eines der Bretter hatte jemand in Schwarz »La Coupole Welcome US« gesprayt, auf das andere war eine Liste von Getränken und Preisen gepinselt: Es gab Bud, Jack und Coke, sonst nichts.
Von drinnen dröhnte Musik, aber nicht laut genug, dass er mehr als die Bässe hätte hören können. Ansonsten war es totenstill auf der Straße, obwohl ein ganzer Pulk Menschen – alles Einheimische – plaudernd vor der Bar stand.
Ein kahlrasierter Teenager in dreckigem weißem Anzug und ohne Hemd und Schuhe saß auf einem alten Motorrad ohne Schutzbleche. Aus dem Sitz quoll an allen vier Ecken Schaumstoff heraus. Der Jugendliche war umringt von einer Horde kleiner Jungen, ebenfalls kahl, die voller Bewunderung und Respekt zu ihm hochschauten. Es war ein Bild wie aus einer Kirche: Jesus als haitianisches Slumkind in verdrecktem John-Travolta-Disco-Anzug.
Max ging hinein. Die Beleuchtung war schummrig und rostfarben, dennoch konnte er alles erkennen. Der Raum war sehr viel größer, als er erwartet hatte. Es war deutlich zu sehen, wo die Rückwand herausgeschlagen und eine Erweiterung angebaut worden war, weil sich – aus Kostengründen oder Desinteresse – niemand die Mühe gemacht hatte, die Wände einheitlich zu streichen. Ein Drittel des Innenraums war im gleichen Blau gestrichen wie die Außenwände, der Rest war kahle, schmucklose, ungeschliffene graue Steinmauer. Der Fußboden nackter Beton.
An den Wänden standen Holztische und -stühle, in den Ecken kleine Sitzgruppen. Kein Tisch und kein Stuhl glich dem anderen. Es gab hohe runde Tische und niedrige rechteckige, einer war aus vier Schultischen zusammengezimmert, ein anderer war in der Mitte durchgesägt worden und hatte neue Beine bekommen, einer hatte Messing- oder Kupferbeschläge an den Ecken und sah verdächtig nach einer Antiquität aus.
Der Laden war gut gefüllt, hauptsächlich mit weißen Männern. Alles amerikanische und – wie er vermutete – UN-Soldaten nach Dienstschluss. Max erkannte seine Landsleute auf Anhieb. Sie waren doppelt so breit wie ihre multinationalen Kollegen, was teils dem Sport, teils zu vielem Essen und teils den Genen zu verdanken war: dicke Arme, breite Schultern, kleine Köpfe und kein Hals; genau wie er. Selbst die Mehrzahl der anwesenden Frauen war nach dem gleichen Muster gebaut. Sie standen in Gruppen zusammen, erzählten sich Geschichten und Witze, lachten und tranken
Weitere Kostenlose Bücher