Voodoo
sagte Dufour auf Französisch, und Chantale übersetzte. »Willkommen in meinem Haus, Mr. Mingus.«
»Wir werden uns bemühen, nicht zu viel von Ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen«, sagte Max, während er seinen Rekorder, Notizbuch und Stift auf den Couchtisch legte.
Dufour witzelte, dass alles immer kleiner wurde, je älter er werde, und erinnerte an die Zeit, als Tonbandgeräte noch über zwei riesige Spulen verfügten. Er bat sie, die Limonade zu kosten, die er eigens für sie beide hatte anrühren lassen.
Chantale schenkte ihnen ein. Amüsiert stellte Max fest, dass die orientalischen Motive auf den Gläsern Männer und Frauen in verschiedenen Stellungen beim Liebesspiel zeigten. Einige waren ganz gewöhnlich, andere eher exotisch, für manche brauchte es die Gelenkigkeit eines professionellen Schlangenmenschen. Er fragte sich, wie lange es her war, dass Dufour zum letzten Mal Sex gehabt hatte.
Sie plauderten und tranken Limonade, die bittersüß und erfrischend war. Max schmeckte Zitronen- und Limonensaft, aufgefüllt mit Wasser und Zucker. Dufour fragte Max, seit wann er schon im Lande sei und welchen Eindruck er gewonnen habe. Max antwortete, noch nicht lange genug in Haiti zu sein, um sich eine Meinung bilden zu können. Dufour lachte laut auf, ohne sein Amüsement mit einer Bemerkung oder einem Witz zu erklären.
» Bien , bien «, sagte er schließlich. »Fangen wir an.«
23
Max schlug sein Notizbuch auf und drückte den Aufnahmeknopf.
»Wann haben Sie Charlie Carver zum ersten Mal gesehen?«
»Seine Mutter hat ihn einige Monate vor seinem Verschwinden zu mir gebracht. An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern«, sagte Dufour.
»Wie haben Sie sie kennengelernt?«
»Sie ist zu mir gekommen. Sie war sehr in Sorge.«
»Warum?«
»Wenn sie Ihnen das nicht erzählt hat, kann ich es auch nicht.«
Die Antwort auf die letzte Frage war freundlich, aber bestimmt gewesen. Es steckte vielleicht nicht mehr allzu viel Leben in Dufour, aber Max spürte den eisernen Willen, der seinen gebrechlichen Körper aufrecht hielt. Max gestaltete die Befragung in neutralem Tonfall wie eine Unterhaltung und bemühte sich um eine entspannte und offene Körpersprache – nicht die Arme auf den Tisch stützen, sich nicht plötzlich vorbeugen oder zurücklehnen: Erzählen Sie mir alles , raus damit .
Chantale war das genaue Gegenteil. Sie schien kurz davor, vom Sofa aufzuspringen, während sie den alten Mann zu verstehen versuchte, dessen brüchige Stimme an- und abschwoll, aber selbst wenn sie sich hob, nicht über ein heiseres Zischen hinausging.
»Wie war Ihr Eindruck von Charlie?«
»Ein überaus intelligenter und glücklicher Junge.«
»Wie oft haben Sie ihn gesehen?«
»Einmal die Woche.«
»Immer am gleichen Tag zur gleichen Zeit?«
»Nein, das war von Woche zu Woche anders.«
»Jede Woche?«
»Jede Woche.«
Das Geräusch eines Deckels, der abgedreht wurde, kam aus Dufours Richtung. Ein Geruch nach Kerosin und vergammeltem Gemüse verdrängte den angenehmen Duft der frischen Limone, der bis dahin das einzige Parfum im Zimmer gewesen war. Chantale verzog das Gesicht und lehnte den Kopf zurück, um der übelsten Wucht der Duftwolke zu entgehen. Max drückte den Pausenknopf.
Dufour gab keinerlei Erklärung von sich. Er rieb sich die Handflächen ein, die Handgelenke und Unterarme, dann einen Finger nach dem anderen, wobei er am Schluss jedes Mal die Gelenke knacken ließ. Der Geruch steigerte sich von übel zu widerlich zu praktisch unerträglich und setzte sich als scharfer, gummiartiger Geschmack ganz hinten in Max’ Kehle fest.
Er schaute sich im Raum um. Seine Augen hatten sich an das schwache Licht gewöhnt, sodass er mehr erkennen konnte als zuvor. Die winzige Flamme der Öllampe wurde von verschiedenen Oberflächen reflektiert, und Max fühlte sich an Fotos von Rockkonzerten erinnert, wo die Zuschauermassen Feuerzeuge in die Luft hielten: eine gasbetriebene Milchstraße. Die Fenster mit den geschlossenen Läden befanden sich zu seiner Linken, durch kleine Risse im Holz drang das grelle Sonnenlicht von draußen in scharf umrissenen Pünktchen und Strichen herein, ein Morsecode, der in den Augen schmerzte.
Dufour drehte den Behälter wieder zu und sprach mit Chantale.
»Er sagt, er ist bereit weiterzumachen«, verkündete sie Max.
»Okay.« Max schaltete den Rekorder wieder ein und blickte starr in die Dunkelheit vor sich, wo er den Kopf seines Gastgebers mit dem blassen Fleck, der sein
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