Voodoo
das Bedürfnis, es Ihnen zu erzählen.«
»Warum?«
»Einfach so. Sie haben so etwas Beichtväterliches an sich. Sie sind jemand, der zuhört, ohne zu urteilen.«
»Das habe ich wahrscheinlich bei der Polizei gelernt«, sagte Max. Sie irrte sich: Er urteilte ständig. Aber sie flirtete mit ihm – nicht offen, sondern zaghaft und zweideutig, sodass sie es jederzeit leugnen und als Wunschdenken seinerseits abtun konnte. Sandra hatte genauso angefangen, hatte ihm vage Zeichen gegeben, dass sie womöglich an ihm interessiert sein könnte, ihn aber so lange im Unklaren gelassen, bis sie sich seiner sicher gewesen war. Er fragte sich, was sie von Chantale halten würde, ob die beiden sich gemocht hätten. Er fragte sich, ob sie mit Chantale als Nachfolgerin einverstanden wäre. Dann verwarf er den Gedanken.
»Okay, Chantale. Ich erzähle Ihnen so viel: In den sechs Monaten vor seinem Verschwinden ist Charlie Carver einmal die Woche bei Filius Dufour gewesen. Auch am Tag seiner Entführung hatte er dort einen Termin.«
»Gut, dann reden wir mit ihm«, sagte Chantale und ließ den Motor an.
21
Die Rue Boyer war einst eine exklusive Straße gewesen, mit Tor und Wachleuten und vornehmen Villen hinter Kokospalmen und Hibiskusbüschen. Während seiner Regierungszeit hatte Papa Doc dort seine Weggenossen angesiedelt. Baby Doc hatte in zwei Häusern Edelpuffs etabliert und mit blonden Nutten aus LA bestückt, damit sich seine kolumbianischen Freunde für 500 Dollar die Stunde vergnügen konnten, wenn sie im Lande weilten, um die Distribution ihrer Drogen zu überwachen und in den hiesigen Banken ihre Gewinne zu waschen. Die Weggenossen und die Nutten hatten das Land zusammen mit dem Regime der Docs verlassen, und das Volk hatte die Straße zurückerobert. Sie hatten die Häuser zuerst bis aufs Parkett ausgeweidet und waren dann in die nun leeren Hüllen eingezogen, wo viele bis heute lebten.
Max begriff nicht, warum sich Dufour entschieden hatte zu bleiben. Die Straße war eine Müllhalde, wie er sie in keinem Ghetto und keinem noch so heruntergekommenen Wohnwagenpark schlimmer gesehen hatte.
Sie fuhren durch das, was vom Tor noch übrig war: ein Eisenbogen, schwer nach hinten gelehnt, die linke obere Ecke bis zum Boden heruntergezogen, die Scharniere zu bösartigen Schmetterlingen mit spitzen Fühlern und rasiermesserscharfen Flügeln verformt. Die Straße der übliche Hindernisparcours aus Schlaglöchern, Buckeln, Abflussrinnen und Gullys. Die Häuser, einst elegante dreigeschossige Villen, waren düstere, schattige Rechtecke im Hintergrund, aller Persönlichkeit beraubt und vom plötzlichen Heranbranden der Armut verwüstet, nur noch für die Abrissbirne gut. Jetzt hausten dort Menschen vom Land, alte und sehr junge, praktisch alle in Lumpen gekleidet, die sie kaum verhüllten und die nur manchmal als Männer- oder Frauenkleider zu erkennen waren. Alle schauten wie ein Mann dem vorbeifahrenden Auto nach, eine Phalanx ausdrucksloser, hohler Blicke.
Dufour lebte im letzten Haus an der Straße, die, wie sich herausstellte, eine Sackgasse war. Sein Haus hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit den anderen. Es war in Altrosa gestrichen, der Stuck oben und unten an den Baikonen himmelblau, die Fensterläden – die allesamt geschlossen waren – leuchtend weiß. Vor dem Haus grüner Rasen und ein von Steinen und Pflanzen gesäumter Pfad, der zu den Verandastufen führte.
Gut ein Dutzend Kinder spielten auf der Straße, doch als Max und Chantale aus dem Wagen stiegen, hielten sie in ihrem Treiben inne und gafften sie an.
Hinter sich hörte Max einen Pfiff. Er sah einen kleinen Jungen über den Rasen sprinten und hinter dem Haus verschwinden.
Als Max und Chantale auf das Haus zugingen, rotteten sich die Kinder auf der Straße zusammen und versperrten ihnen den Weg. Alle hatten einen Stein in der Hand.
Anders als die anderen Kinder, die er bisher auf den Straßen gesehen hatte, trugen diese ordentliche Kleider und Schuhe, sie sahen gesund und sauber aus. Sie waren nicht älter als acht, aber ihre harten Gesichtszüge spiegelten Erfahrungen und Weisheit wider, die weit über ihr Alter hinausgingen. Max versuchte es mit einem entwaffnenden Lächeln, aber das Mädchen mit den Haarschleifen, dem es galt, starrte nur grimmig zurück.
Chantale sagte etwas, aber sie antworteten nicht und rührten sich nicht vom Fleck. Sie packten die Steine nur noch fester, die jungen Körper spannten sich und bebten vor Feindseligkeit. Max
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