Voodoo
unser ›Schicksal‹ –, liegt zu einem großen Teil in unseren Händen und zu einem kleinen eben auch nicht. Wenn Gott eine höhere Aufgabe für uns im Sinn hat und sieht, wie wir mit niedrigeren Zielen unsere Zeit verschwenden, greift er ein und führt uns wieder auf den richtigen Pfad. Manchmal ist das ein schmerzhafter Eingriff, manchmal ein scheinbar zufälliger oder willkürlicher. Die Menschen, die über mehr Einsicht verfügen, erkennen, wie Gottes Hand ihr em Leben Form gibt, und folgen dem Weg, der für sie vorbestimmt ist. Max, Ihnen war es vorbestimmt, hierher zu kommen.«
Max atmete tief durch. Der Gestank hatte sich verflüchtigt, der süßsaure Limonengeruch war wieder da. Er wusste nicht, was er denken sollte.
Halt dich an das , was du weißt , nicht an das , was du gern wissen würdest . Du suchst einen Menschen , der vermisst wird , einen kleinen Jungen . Nur das zählt : dein Ziel . Wie schon Eldon Burns immer zu sagen pflegte : Tu , was du tust , und scheiß auf den Rest .
Max zog das Plakat von Charlie aus der Tasche und breitete es auf dem Tisch aus. Er zeigte auf das Kreuz, das an den Rand gekritzelt war.
»Können Sie das sehen?«, fragte er Dufour.
»Ja. Tonton Clarinette. Das ist sein Zeichen«, antwortete Dufour.
»Ich dachte, Ton Ton Clarinet sei nur eine Legende.«
»In Haiti beruhen alle Tatsachen auf Legenden.«
»Soll das heißen, dass es ihn wirklich gibt?«
»Es liegt an Ihnen, das herauszufinden.« Dufour lächelte. »Gehen Sie an die Quelle dieser Legende. Finden Sie heraus, wie sie ihren Anfang genommen hat und warum, und wer sie geschaffen hat.«
Max dachte an Beeson und Medd und wohin sie Huxley zufolge gegangen waren: zu den Wasserfällen. Er nahm sich vor, noch einmal mit Huxley zu reden.
»Zurück zu Charlie«, sagte Max. »Hat er Ton Ton Clarinet gesehen?«
»Ja.«
Max warf Chantale einen Blick zu. Sie starrte ihn an. Max erkannte Angst in ihren Augen.
»Wann?«
»Bei seinem letzten Besuch hier erzählte er mir, er habe Tonton Clarinette gesehen.«
»Wo?« Max beugte sich vor.
»Das hat er nicht gesagt. Er sagte nur, er habe ihn gesehen.«
Max schrieb »Carvers Dienstboten befragen« in sein Notizbuch.
»Hier werden viele Kinder entführt, richtig?«, fragte Max.
»Es passiert sehr oft, ja.«
»Warum tun die Leute das?«
»Warum tun es die Leute in Ihrem Land?«
»Wegen Sex, meistens. In 99 Prozent der Fälle. Oder es geht um Geld, oder ein kinderloses Paar möchte sich den Ärger mit den Adoptionsbehörden ersparen, oder es sind einsame Frauen mit Mutterkomplex, so was in der Art.«
»Wir hier haben andere Verwendungen für Kinder.«
Max dachte eine Sekunde nach und war schnell bei Boukman gelandet.
»Voodoo?«
Dufour lachte spöttisch.
»Nein, nicht Vodou. Vodou ist nicht böse. Vodou ist wie Hinduismus, es gibt verschiedene Götter für verschiedene Bereiche, und einen großen Gott, der sich um alles kümmert. Im Vodou werden niemals irgendwelche Kinder geopfert. Denken Sie noch mal nach.«
»Teufelsanbetung? Schwarze Magie?«
»Schwarze Magie. Genau.«
»Warum werden da Kinder geopfert?«
»Aus verschiedenen Gründen, die meist eher hanebüchen sind. Schwarze Magie ist in weiten Teilen ein Tummelplatz verwirrter Dummköpfe, die meinen, sie müssten nur etwas wirklich Schockierendes tun, und schon kommt Satan persönlich aus der Hölle geritten, um ihnen die Hand zu schütteln und ihnen drei Wünsche zu gewähren. Aber hier ist das anders. Hier wissen die Leute ganz genau, was sie tun. Sehen Sie, Sie, ich – wir alle –, wir werden von schützenden Geistern behütet, die über uns wachen …«
»Schutzengel?«
»Ja, wie immer Sie sie nennen wollen. Nun, der stärkste Schutz, den ein Mensch haben kann, ist der eines Kindes. Kinder sind unschuldig und rein. Wenn ein Kind über einen Menschen wacht, wird diesem nur sehr wenig bleibendes Unheil widerfahren – und was ihm an Schwierigkeiten begegnet, daraus kann er lernen und daran wachsen.«
Max dachte über Dufours Worte nach. Alles erinnerte ihn an den Boukman-Fall. Boukman hatte Kinder geopfert, um sie irgendeinem Dämon darzubringen, den er angeblich heraufbeschworen hatte.
»Sie sagen, Kinder seien besonders mächtige Schutzengel, weil sie unschuldig und rein sind«, sagte Max. »Aber was ist mit Charlie? Was könnten die Leute ausgerechnet von ihm wollen – abgesehen davon, dass er ein Kind ist?«
»Charlie ist sehr besonders«, sagte Dufour. »Er bietet einen Schutz, der sehr
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