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Vor aller Augen

Titel: Vor aller Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
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Schliche gekommen. Laut Information von Interpol und der russischen Polizei war er jemand, der unerbittlich zuschlug. Ursprünglich war er Polizist gewesen. Wie so viele Russen war er imstande, auf schlaue Art und Weise zu improvisieren. Diese angeborenen Fähigkeiten wurden auch als Grund genannt, weshalb die Raumstation Mir sich so lange im Kosmos halten konnte.
    Die russischen Kosmonauten waren schlichtweg besser als die Amerikaner, wenn es darum ging, alltägliche Probleme zu lösen. Wenn in der Raumstation etwas unvermittelt kaputtging, reparierten sie es.
    Und so machte es auch der Wolf.
    An diesem sonnigen Nachmittag fuhr er einen schwarzen Cadillac Escalade in den nördlichen Teil von Miami. Er musste einen Mann aufsuchen, der Yeggy Titov hieß. Es ging um Sicherheitsfragen. Yeggy hielt sich für den weltbesten Web-Designer. Er hatte in Berkeley promoviert und das ließ er niemals jemanden vergessen. Aber Yeggy war nur ein weiterer Perverser mit Größenwahn-Allüren. Diese Haltung war schlimm, sehr schlimm.
    Der Wolf schlug gegen die Metalltür von Yeggys Apartment in einem Hochhaus, von dem aus man auf die Biscayne
Bay hinausschaute. Er trug eine Mütze und eine Miami-Windjacke, nur für den Fall, dass jemand ihn bei diesem Besuch sah.
    Â»Schon gut, schon gut, halt deinen Urin zurück!«, brüllte Yeggy von drinnen. Er brauchte noch ein paar Minuten, ehe er aufmachte. Er trug blaue Jeans-Shorts und ein ausgefranstes, verwaschenes Sweatshirt mit Einsteins grinsendem Gesicht darauf. Dieser Yeggy war wirklich ein Scherzkeks.
    Â»Ich hab dir gesagt, du solltest mich nicht dazu zwingen, dich aufzusuchen«, erklärte der Wolf, lächelte aber, als mache er einen Witz. Daher lächelte Yeggy ebenfalls.
    Die beiden waren seit knapp einem Jahr Geschäftspartner – nur selten hielt es jemand mit Yeggy so lang aus. »Dein Timing ist perfekt«, sagte er.
    Â»Da bin ich ja ein richtiger Glückspilz«, erwiderte der Wolf und ging ins Wohnzimmer. Am liebsten hätte er sich sofort die Nase zugehalten. Das Apartment war die reinste Müllkippe – überall Fastfood-Verpackungen, Pizzaschachteln, leere Milchkartons und vielleicht hundert alte Ausgaben von Novoye Russkoye Slovo , der größten Zeitung in russischer Sprache in den Vereinigten Staaten.
    Der Gestank von Dreck und verfaulenden Lebensmitteln war schlimm genug, aber Yeggy selbst übertraf ihn noch. Er roch immer wie Würstchen, die bereits wochenlang herumlagen. Der Wissenschaftler führte den Wolf in ein Schlafzimmer neben dem Wohnzimmer – aber es war kein Schlafzimmer. Es war das Labor einer äußerst schlampigen Person. Hässlicher brauner Teppich, drei beigefarbene Kartons auf dem Boden, Ersatzteile in einer Ecke: alte Kühler, Schalttafeln, Festplatten.
    Â»Du bist ein Schwein«, sagte der Wolf und lachte leise.
    Â»Aber ein sehr schlaues Schwein.«
    In der Zimmermitte stand ein Computertisch. Drei Flachbildschirme
bildeten einen Halbkreis vor einem alten, durchgesessenen Stuhl auf Rollen. Das Kabelgewirr hinter den Bildschirmen stellte eindeutig ein Feuerrisiko dar. Es gab nur ein Fenster, und die Jalousien waren ständig heruntergelassen.
    Â»Deine Website ist jetzt sehr sicher«, sagte Yeggy. »Hundert Prozent. Keinerlei Fehlerquellen möglich. So wie du es magst.«
    Â»Ich dachte, sie sei bereits sicher«, erwiderte der Wolf.
    Â»Na ja, jetzt ist sie noch sicherer. Heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein. Ich sage dir noch etwas – ich habe die neueste Broschüre fertig. Sie ist ein Klassiker.«
    Â»Ja, und nur drei Wochen zu spät.«
    Yeggy zuckte mit den knochigen Schultern. »Na und? Warte, bis du mein Werk siehst. Es ist genial. Kannst du ein Genie erkennen, wenn du es siehst? Das ist das Werk eines Genies.«
    Der Wolf betrachtete die Seiten. Die Broschüre war zwanzig mal dreißig Zentimeter groß, Hochglanz, in Klarsichthülle und rot gebunden. Yeggy hatte sie auf seinem HP-Farblaserdrucker erstellt. Die Farben waren traumhaft. Das Deckblatt war perfekt. Eigentlich war diese Eleganz abartig, so als würde der Wolf einen Katalog von Tiffany’s betrachten. Auf keinen Fall sah es wie das Werk eines Mannes aus, der in diesem Scheißloch lebte.
    Â»Ich habe dir gesagt, dass die Mädchen Nummer sieben und siebzehn nicht länger unter uns weilen. Tot«, erklärte der Wolf schließlich. »Unser

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