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Vor aller Augen

Titel: Vor aller Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
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Potter war es.

    Er musste aufhören zu weinen, denn Mr. Potter war schon verärgert über ihn. Er hatte gedroht, ihn zu töten, wenn er nicht aufhörte. Und deshalb, o Gott, heulte er ja jetzt so schrecklich. Er wollte nicht sterben. Er war doch erst einundzwanzig und hatte sein ganzes Leben noch vor sich.
    Eine Stunde später? Drei? Er hörte Lärm über sich und begann erneut zu weinen. Benjamin konnte das Schluchzen nicht unterdrücken, er zitterte am ganzen Leib. Er schniefte auch. Seit dem Kindergarten tat er das. Hör auf zu schniefen, Benjamin. Hör auf damit! Hör auf! Aber er konnte nicht aufhören.
    Dann öffnete sich die Falltür. Jemand kam herunter.
    Hör auf zu weinen, hör auf zu weinen. Hör auf! Sofort! Potter wird dich umbringen.
    Dann ereignete sich etwas Unglaubliches. Mit dieser Schicksalswendung hätte Benjamin nie gerechnet.
    Er hörte eine tiefe Stimme – nicht die von Potter.
    Â»Benjamin Coffey? Benjamin? Hier ist das FBI. Mr. Coffey, sind Sie da unten?«
    Das FBI hat mich gefunden! Es ist ein Wunder. Ich muss mich bemerkbar machen. Aber wie? Der Knebel … Nicht weggehen! Ich bin hier unten. Ja, hier!
    Der Strahl einer Taschenlampe blendete ihn. Eine Silhouette. Dann tauchte das ganze Gesicht aus dem Schatten auf.
    Mr. Potter betrachtete ihn mit finsterer Miene von oben herab. Dann streckte er ihm die Zunge heraus. »Ich habe dir gesagt, was passieren würde. Habe ich dir das nicht gesagt, Benjamin? Du hast es dir selbst zuzuschreiben. Und du bist so wunderschön . Gott, du bist in jeder anderen Hinsicht perfekt.«
    Sein Peiniger kam die Leiter herunter. Er sah den Holzhammer in Potters Hand. Ein schweres Werkzeug. Wogen
der Angst überfluteten Benjamin. »Ich bin viel stärker, als ich aussehe«, sagte Potter. »Und du warst ein sehr böser Junge.«

45
    Mr. Potters richtiger Name lautete Homer O. Taylor, und er war am Dartmouth College Assistent für Anglistik. Er war brillant, aber doch nur ein Assistent, ein Niemand . Sein Büro war klein, wenngleich gemütlich, im Eckturm des Liberal Arts Building. Er nannte es sein »Dachstübchen«, wo ein Niemand in einsamer Abgeschiedenheit arbeiten konnte.
    Er saß dort fast den ganzen Nachmittag. Die Tür hatte er abgeschlossen. Er war nervös. Er betrauerte seinen schönen toten Jungen, seine letzte tragische Liebe – die dritte.
    Ein Teil von Homer Taylor wollte zu der Scheune auf der Farm in Webster zurückfahren, um bei Benjamin zu sein, nur um die Leiche noch einige Stunden anzuschauen. Sein Toyota 4Runner parkte draußen. Er könnte in einer Stunde dort sein, wenn er sich beeilte. Benjamin, lieber Junge, warum konntest du nicht artig sein? Warum hast du das Schlimmste in mir geweckt, wo ich doch so viel Liebe für dich empfand?
    Benjamin war wirklich eine Schönheit gewesen, und der Verlust, den Taylor jetzt spürte, war grauenvoll. Es war nicht allein der körperliche und gefühlsmäßige Verlust, es war auch eine erhebliche finanzielle Einbuße. Vor fünf Jahren
hatte er gut zwei Millionen Dollar geerbt. Das Geld wurde schnell weniger. Vielleicht zu schnell. Er konnte es sich nicht leisten, so zu spielen – aber wie konnte er aufhören?
    Schon jetzt wollte er einen anderen Jungen. Er brauchte es, geliebt zu werden. Und jemanden zu lieben. Einen zweiten Benjamin, aber kein emotionales Wrack, wie dieser arme Junge es gewesen war.
    Er blieb den ganzen Tag im Büro, um die einstündige Qual des Tutoriums um vier Uhr zu vermeiden. Er würde so tun, als müsse er Seminararbeiten korrigieren, falls jemand klopfte. Aber er las keine einzige Seite.
    Stattdessen gab er sich seiner Besessenheit hin.
    Gegen sieben Uhr nahm er mit Sterling Kontakt auf. »Ich möchte noch einen Kauf tätigen«, sagte er.

46
    Ich besuchte eines Abends Sampson und Billie und hatte eine schöne Zeit mit ihnen. Ich redete über Babys und bemühte mich, dem großen John Sampson Angst einzujagen. Mindestens einmal pro Tag telefonierte ich mit Jamilla. Aber der Fall »Weißes Mädchen« geriet in Bewegung, und ich wusste, was das bedeutete. Wahrscheinlich würde ich in diesem Fall versinken.
    Ein Ehepaar, Slava Vasilev und Zoya Petrov, waren in dem Haus, das sie auf Long Island gemietet hatten, tot aufgefunden worden. Wir fanden heraus, dass der Mann und die Frau vor vier Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen

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