Vor aller Augen
Angehörigen des gleichen Geschlechts, aber homosexuelle Handlungen wurden oft als »pervers« angesehen, als »schwere moralische Störung«. Da die Jesuiten homosexuelle Beziehungen, zumindest unter Studenten, hart bestrafen konnten, hielten Vince und Francis ihre so geheim wie möglich. Allerdings waren sie während der vergangenen Monate zu der Erkenntnis gelangt, dass ihre Beziehung wohl doch keine so groÃe Sache war, wenn man die Skandale im katholischen Klerus betrachtete.
Der Campus Arboretum am Holy Cross war seit langem ein Ort, wo Studenten sich trafen, wenn sie allein sein
wollten und romantische Absichten hegten. In dieser wunderschönen Gartenanlage wuchsen angeblich über hundert unterschiedliche Bäume und Sträucher. Man blickte von dort aufs Stadtzentrum von Worcester, von den Studenten »Wormtown« genannt.
An diesem Abend schlenderten Vince und Francis von der Easy Street zu einer Backsteinterrasse und einem Rasen. Dieser Platz hieà Wheeler Beach. Sie trugen beide Turnhosen, T-Shirts und die gleichen lila-weiÃen Baseballmützen. Der Wheeler Beach war sehr belebt, daher suchten sie sich einen stillen Ort im Arboretum.
Dort lagen sie auf einer Decke unter einem nahezu vollen Mond und blickten zum sternenfunkelnden Firmament empor. Sie hielten sich an den Händen und sprachen über W. B. Yeats Dichtung, den Francis verehrte und Vince, der Medizin studieren wollte, nach besten Kräften ertrug. Die beiden Männer waren vom Körperbau her ein seltsames Paar. Vince war knapp einsachtzig und wog achtzig Kilo. Das meiste waren Muskeln, da er ein eifriger Gewichtheber war. Er hatte schwarze Locken, die ein beinahe engelsgleiches Gesicht einrahmten, das sich von dem seiner Babyfotos kaum unterschied. Eins davon trug sein Liebhaber im Portemonnaie.
Bei Francisâ Anblick lief beiden Geschlechtern das Wasser im Mund zusammen, sie sabberten regelrecht. Das war Vinceâ Privatscherz, wenn sie unter Kommilitoninnen waren: »Sabbersusen« . Francis war einsdreiundachtzig, ohne ein Gramm Fett. Sein weiÃblondes Haar lieà er immer noch so schneiden wie im ersten Jahr an der Christian Brothers Academy in New Jersey. Er betete Vince aus ganzem Herzen an, und umgekehrt war es genauso.
Natürlich holten sie sich Francis.
Ihn hatte man ausgespäht und gekauft.
62
Die drei bulligen Männer trugen weite Jeans, Arbeitsstiefel und dunkle Windjacken. Sie waren Schläger. In Russland hieÃen sie baklany oder bandity . Furcht einflöÃende Dämonen, wenn man ihnen begegnete, Ungeheuer aus Moskau, vom Wolf in Amerika losgelassen.
Sie parkten ihren schwarzen Pontiac Grand Prix auf der StraÃe und stiegen dann den Hügel zum Campus von Holy Cross hinauf.
Einer von ihnen war kurzatmig und beschwerte sich auf Russisch über den steilen Aufstieg.
»Halt die Schnauze, Arschloch«, sagte der Anführer der Gruppe, Maxin, der sich gern als persönlichen Freund des Wolfs bezeichnete, obgleich er das natürlich nicht war. Kein pakhan hatte echte Freunde, und schon gar nicht der Wolf. Er hatte nur Feinde und traf sich fast nie mit denen, die für ihn arbeiteten. Selbst in Russland war er als der groÃe Unsichtbare bekannt. Hier in den Vereinigten Staaten kannte ihn buchstäblich niemand von Angesicht zu Angesicht.
Die drei Schläger beobachteten die Studenten auf der Decke, die sich an den Händen hielten, küssten und liebkosten.
»Die küssen wie Mädels«, sagte einer der Russen und lachte hässlich.
»Nicht wie Mädels, die ich je geküsst habe.«
Die drei schüttelten angewidert die Köpfe. Dann schritt der bullige Anführer weiter. In Anbetracht seiner GröÃe und seines Gewichts bewegte er sich überraschend schnell. Stumm deutete er auf Francis. Sofort rissen die beiden anderen Männer diesen von Vince weg.
»Hey, was zum Teufel soll das bedeuten?«, schrie Francis. Doch im nächsten Moment verschloss ein breites Isolierband seinen Mund und erstickte jeden Laut.
»Jetzt kannst du schreien«, sagte einer der Schläger grinsend. »Schrei doch wie ein Mädchen. Niemand wird dich hören.«
Sie arbeiten schnell. Ein Schläger fesselte Francis mit schwarzem Isolierband an den FuÃknöcheln, ein anderer band damit seine Handgelenke auf den Rücken. Danach steckten sie ihn in einen groÃen Sack, mit dem sonst Sportgeräte wie Baseballschläger oder
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