Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
Vom Netzwerk:
weiter. Er hatte das Fräulein Zieschke einen Tag vor dem Fest um einen Tanz gebeten. Er wollte ihr Zeit lassen. Willigte sie nämlich ein, so würde sie – Imboden war sich dessen sicher – nie wieder mit einem anderen tanzen wollen.Außer vielleicht mit Ditzsche, aber der war sonst keine Konkurrenz.
    Darauf hat die Garage angestoßen. In der Garage sollst du dich selbst loben, da legt dir in der Garage niemand Steine in den Weg.
    »Ich kann mich genau an den Stoff von ihrem Kleid erinnern. Aus hundert Stoffen errate ich den. Hat gekratzt wie noch was.« Imboden schloss die Augen. Tanzte einige Takte mit Fräulein Zieschke. Summte ihr Lied. Kratzte sich am Handgelenk. Imbodens Hand an Fräulein Zieschkes Taille beim Annenfest, die lodernden Flammen, die endlich geräumten Ruinen.
    Imboden sagte nicht Annenfest, sondern: »Fest von Genossin Anuschka«. Heute ein bisschen witzig. Früher musstest du aufpassen, zu wem du so was sagst. Die Leute waren schnell gekränkt und ließen sich leicht provozieren. Dabei hatte man ständig Lust, zu kränken und zu provozieren, weil man ja selbst genau das ständig war: gekränkt und provoziert. Und dem einen oder anderen von denen, die jetzt das Sagen hatten, hätte man auch mal über das Kränken hinaus zum Beispiel gern das Gesicht eingeschlagen. Er schweife aber ab, sagte Imboden zu seinen inzwischen voll aufmerksamen Zuhörern. Denen war das gar nicht so unrecht: Die Stichworte »provozieren«, »das Sagen haben« und »Gesicht einschlagen« klangen, so aneinandergereiht, sehr vielversprechend.
    Der Tanz hatte gerade begonnen, da tauchten einige Blauhemden aus Prenzlau auf. Sie wollten für die FDJ werben, einer hätte beinahe eine Rede gehalten. Du hältst keine Reden, wenn das Volk tanzen will. Der Fährmann ist dazwischengegangen. Der Glöckner war bei ihm und noch ein paar. Es wurde erst mal weiter getanzt, ohne Reden.
    »Die wollten ja auch tanzen. Einer hat dann Fräulein Zieschke ausleihen wollen, und ich schwöre, ich hätte sie ihm auch überlassen, tanzen darf jeder mit jedem, doch sie wollte nicht! Sie wollte natürlich nicht, weil – was hab ich gesagt?«, fragte Imboden, und die Garage liebt ja rhetorische Fragen. Bei der Politik hatte er sich zurückgehalten, das aber wollte er sich und Fräulein Zieschke nicht bieten lassen.
    Wieder stieß die Garage an – das ist so eine Angewohnheit: trinken, wenn jemand sich etwas nicht hat bieten lassen.
    Imboden habe den Kerl erst nur gewarnt, doch das hat nicht geholfen, also kam es, wie es kommen musste: Er lud ihn nach draußen, damit die Fäuste fliegen konnten, im Tanzsaal war es zu eng. Und die Fäuste sind geflogen.
    Ein paar Tage später kam es wieder, wie es kommen musste: Imboden wurde zu Blissau bestellt, seine Tanzpartner waren diesmal zwei Genossen aus der Kreisleitung; jemand hatte Anzeige erstattet. »Ich hätte Unruhe gestiftet und die FDJ und damit auch die DDR diffamiert.«
    Die Garage stieß an wegen dem Fremdwort.
    »Das hat ja nicht gestimmt«, sagte Imboden, und er habe das denen auch gesagt: »Diffamiert wurde nicht.« Ja, eine Unruhe habe es gegeben, und die nehme er auf seine Kappe. In der Unruhe wurden aber keine Ideen, sondern Hiebe ausgetauscht. Das war keine Politik, das war Instinkt, ein Fräulein zu beschützen vor einem zudringlichen Burschen.
    Wollten die gar nicht genau wissen. Sie sagten, es gebe Zeugen, eine Gruppe aufmerksamer junger Männer aus Prenzlau, die angegeben hätten, Imboden sei der Wortführer gewesen und habe zuerst zugeschlagen.
    »Und dann kam’s raus, warum die so ein Theater machten. Sagt der eine zu mir: ›Du bist ein Unruheherd und ein Anstifter, Imboden. Nichts anderes ist zu erwarten von einem, dem der Vater in Waldheim sitzt, das Nazi-Arschloch.‹«
    Ja, da sei Imboden aufgesprungen und habe an den beiden so richtig Unruhe stiften wollen, aber statt der Unruhe aus seinen Fäusten sei eine Entschuldigung aus seinem Mund gekommen.
    Die Garage war ein wenig enttäuscht.
    Imboden trank aus. Imboden senkte den Kopf.
    »Ich schäme mich. Bis heute schäme ich mich, dass ich meinen Vater nicht verteidigt habe. Er war bloß bei der Polizei gewesen, hat niemandem was angetan. Zurückhaltung war aber richtig. Sonst wäre die Sache für alle schlimm ausgegangen. Für die beiden Parteifritzen in dem Moment, aber später und für immer für mich selbst. Wollt ihr wissen, was mich gebremst hat?«
    Die Garage wollte.
    »Hätte ich mich auch mit denen geprügelt, wäre mir

Weitere Kostenlose Bücher