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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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von der Herkunft her Donauschwäbin.«
    »Ich weiß.«
    »Genau gesagt, Jugoslawiendeutsche.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Sprechen wir ein wenig darüber.«
    »Über den Zufall der Geburt?«
    »Wir können über das Banat sprechen. Ich habe mir Fotos angeschaut. Flach und ländlich wie die Uckermark. Hilft die Ähnlichkeit der Landschaft bei der Eingewöhnung?«
    »Nein.« Frau Kranz macht einen sehr süßen Holundersaft.
    »Gut, und wenn Sie zurückdenken, haben Sie heute noch manchmal Heimweh?«
    Frau Kranz führt den Journalisten wortlos in die Schlafstube, wo ein riesiges Gemälde von nichts als Raps eine ganze Wand leuchtend einnimmt. Der Journalist vergisst seine Frage und fällt selbstvergessen dieses Urteil: »Wie gelber Latexhandschuh fürs Klo, nur schöner, klar.«
    Endlich etwas, womit Frau Kranz einverstanden sein könnte. Sie schenkt ihm Holundersaft nach, seine abwehrende Hand kommt zu spät.
    Wir sind besorgt. Mit festem Schritt steigt Frau Kranz zum See hinab. Das Abendkleid, das sie heute Nacht unter ihrem Cape trägt, will uns nicht gefallen. Es passt zur Nacht nicht und passt zur Arbeit nicht – Frau Kranz passt es vorzüglich.
    Das letzte Mal trug sie das Kleid ’77 inSchwerin, als sie für ihre künstlerischen Verdienste am Bezirk Schwerin ausgezeichnet wurde, Kategorie »Malerei«, Unterkategorie »Land und Leute«. FrauKranz lief auf das Podium, aber sie hielt keine Rede, sondern sang ein Lied in schlechtem Kroatisch, Poljima i traktorima (Lob den Feldern und Traktoren). Und eines wurde schnell klar: Schön singt Frau Kranz nicht, schön nicht, aber laut, aber hallo, dazu noch die übersteuerten Boxen und das Sich-Nicht-An-Das-Protokoll-Halten und ein paar Männer, die durch das rohe Kroatisch immer aggressiver wurden und Frau Kranz nach sieben oder acht Strophen, da der Gesang kein Ende nahm, von der Bühne eskortieren wollten, was dann aber andere Männer nicht richtig einzuordnen wussten und Frau Kranz beschützen wollten, sodass es zu einem Handgemenge kam hinter der Röhrenden, und wenn man sich das alles vor Augen führt, muss man fast gar nicht mehr sagen, was das für ein irrsinnig schöner Abend war für Frau Kranz in Schwerin ’77. Die Urkunde hängt in der Küche, ist von den Dämpfen etwas gelb geworden.
    Wofür hat sich Frau Kranz fein gemacht heute Nacht, sie, die sonst im Trainingsanzug vom 1. FC Fürstenfelde malt? Am Fährhaus angekommen lädt sie ab und stellt sich ans Wasser. Die Eschen saugen ihr Parfüm auf. Sie kennen ihren Duft. Frau Kranz schraubt die Thermoskanne auf, prostet dem Fährhaus zu, trinkt und schließt die Augen.

IMBODEN HAT EINE GESCHICHTE VON FRÜHER ERZÄHLEN WOLLEN , und die Garage hat ihn unterbrochen und erst mal ein bisschen verarscht. In der Garage darf nichts ohne Widerworte ernst genommen werden. Zu Hause ist es ernst genug, auf der Arbeit, auf keiner Arbeit. Es wurde also gefrotzelt, wie sich das gehört, und Imboden hat es über sich ergehen lassen, wie sich das gehört, sodass die gute, große Ruhe irgendwann einkehren konnte, respektvoll, wie sich das gehört, wenn ein alter Mann, der sonst nicht viel sagt, mit einem kühlen Sterni in der Hand, dem Narrenstab, etwas sagt, das so beginnt:
    »Eine Schlägerei macht kein Fest besser, es sei denn, sie rettet es. Auch stimmt es nicht, dass früher besser gefeiert wurde. Die Zeiten waren bloß noch mieser. Je mieser die Zeiten, desto wichtiger das Feiern. Die Frisuren und die Hemden waren eindeutig schlechter, doch es wurde viel besser getanzt.«
    Mit »früher« meint Imboden, meinen alle, immer gleich die gesamte Vorwendezeit. Theoretisch kannst du mit »früher« auch das dunkelste Mittelalter meinen, aber auf keinen Fall Gerhard Schröder.
    Konkret meinte Imboden ein Annenfest in den frühen Sechzigern. Er meinte Tombola, Gesang, Varieté und anschließend Tanz in Blissaus Gaststätte – wann hat der Blissau eigentlich dichtgemacht? Anfang der Neunziger, wann sonst? War das da, wo jetzt die Gitty den Kiosk hat, mit Neonreklame? Das ist doch keine Reklame, da steht doch nur open , wenn die Gitty offen hat. Die Gitty ist ja Enkelin von Blissau. Gitty, Gitty, Gitty, was hat die? Vier Kinder? Sechs? Kaum noch Zähne hat die, ist sonst aber tipptopp, auch vom Charakter – ja, und da siehst du mal, wie leicht die Garage abgelenkt wird, wenn in einer Geschichte jemand vorkommt, über den sie was weiß.
    Imboden wartete höflich ab, bis zu Blissau und Gitty alles gesagt war, und erzählte

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