Vor dem Fest
STILLGELEGTEN KEGELBAHN, STEHT EIN STEIN . Recht quadratisch, recht praktisch, zwei Meter hoch. Für Gedenktafeln wie geschaffen. Ein Findling. Gedenkfindling. Der Gedenkfindling gedenkt momentan niemandem. Von der letzten Gedenktafel sind die Löcher übrig, in einem steckt ein Zigarettenstummel.
Der Sportplatz wie auch der Findling befinden sich in der Ernst-Thälmann-Straße, und die letzte Gedenktafel auf dem Findling in der Ernst-Thälmann-Straße gedachte Ernst Thälmann.
Oberhalb vom Sportplatzhat Ulli seine Garage. Er hat die Männer heute wegen morgen früher rausgeworfen. Lada hat beim Aufräumen geholfen. Ulli gab ihm einen aus. Jetzt sitzen sie auf den Reifenstapeln vor der Garage, rauchen, trinken, gucken in die Wolken. Gucken die Thälmann hoch, runter. Lada spuckt. Ulli schüttelt den Kopf.
Ladas orangenfarbener Shell -Overall leuchtet. Irgendwie leuchtet der. Ulli: Jeansjacke und Jeans und weißes T-Shirt und nervös. Wegen dem Fest.
»Morgen mach ich früh auf«, sagt er.
»Mhm«, sagt Lada.
»Können die Männer schön vorglühen.«
»Mhm«, sagt Lada.
»Hab mir überlegt, ich frag Krone, ob er mir ein, zwei kalte Platten gibt von seinem Stand. Super Hartwurst hat der. Bisschen was zum Knabbern.«
»Knabbern kannst morgen überall. Mach um elf oder was auf, dann passt das.« Lada spuckt.
»Jetzt hör mal auf damit.«
Lada guckt Ulli an. Lada verreibt die Spucke mit der Sohle. Prostet Ulli zu. Der winkt ab. Sie trinken.
Die Glocken läuten. Die Glocken läuten komisch. Lada und Ulli würden die Kirche angucken, wenn die Neubauten nicht im Weg wären. Es donnert recht laut.
»Holla, die Waldfee.« Ulli guckt in die Wolken. Lada guckt in die Wolken. Ja. Es beginnt zu tröpfeln.
Ulli deutet mit der Flasche zum Sportplatz. »Kennst du den?«
»Wen?«
»Den Stein.«
»Den Hitler-Stein?«
»Das hat man doch schon lang weggemacht.«
»Da siehst du mal. Ist trotzdem hängen geblieben.«
»Weißt du eigentlich, warum ausgerechnet dem da Bärtchen und Scheitel gedingst wurden?«
Lada schiebt die Unterlippe vor. Steht auf und schlendert zum Findling. »Weil’s gut gepasst hat? Hier. Der sieht schon von selbst wie ein Gesicht aus.« Er zeichnet mit der Flasche die Umrisse der Stirn und der Nase nach. Klack-klack-klack über den Stein.
So still ist es nach dem Donner. Jetzt erst, in Ladas Musizieren mit einer Flasche Stierbier auf einem fünfhundert Millionen Jahre alten Steinbrocken, fällt uns auf, wie still. Es ist, als wäre immer nur ein Geräusch auf einmal möglich.
Ulli gesellt sich zu Lada. Legt die Hand dem Findling auf die Wange.
»Das ist es nicht«, sagt er. »Bis ’95, ja, da hat’s hier eine Tafel für den Thälmann gegeben. Kennst du den?«
»Nicht persönlich, ne.«
»Witzig.«
» DDR , oder?«
»Jenau. So. Und bis ’45, weißt du, wie der Acker dort geheißen hat? Adolf-Hitler-Sportfeld. Und auf der Tafel stand ein anderer Name, nu rat mal, welcher.«
»Logisch.« Lada spuckt.
»Richtig. Wer den angemalt hat, der wusste das.«
»Mhm.« Lada nickt.
»Und vorher, vor Hitler haben wir hier«, Ulli klopft dem Findling auf die Stirn, »dem Kronprinzen gedacht.«
»Welchem denn?«
»Welchem? Ja, was weiß denn ich? Dem Kronprinzen! Die hießen doch alle Wilhelm. Auch die Eichen beim Bahnhof hat man dem zu Ehren gepflanzt. Vor dem Ersten Weltkrieg war das.«
»Mein Vater hat mir zu Ehren eine Birke gepflanzt, als ich geboren wurde, wusste aber später nicht mehr, wo.« Lada grinst. Lada spuckt.
Ulli umrundet den Stein. »Damals ging’s uns noch gut. Die Leute kamen extra her, um sich extra hier niederzulassen. Kannst du dir das vorstellen? Dass jemand extra herkommt, um was aufzumachen?«
»Die Keramik-Maus ist doch gekommen. Und der eine Magdeburger will nen Buchladen für alte Bücher aufmachen.«
Ulli hört nicht zu. »Pass auf, geht weiter. Hans Steffen, kennst du den? Sag nichts … Der Steffen war einer von hier. Geograf war der. Der hat einen Krieg verhindert, ich glaube zwischen Chile und Argentinien, weil er rausgefunden hat, das ist eure Grenze, hört mal auf zu streiten. Stell dir das mal vor! Einer von hier! Geograf! Richtig mit Expeditionen im Dschungel. In Chile ist der so berühmt, dass die ihm einen eigenen Namen gegeben haben: Juan Steffen!«
»Juan«, sagt Lada. »Geil.«
»Ja! Stell dir vor, du machst so viel für jemanden, sagen wir mal Frankreich, dass die dich Rö-bär Zü-schkä nennen!«
»Lö-dá!«, ruft Lada. Und nach kurzem
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