Vor dem Fest
bei meiner Familiengeschichte nichts übrig geblieben, als zu fliehen, um nicht zu enden wie mein Vater. Das Fräulein Zieschke hätte ich niemals oder nicht so bald wiedergesehen. Das wollte ich aber. Ich wollte das Fräulein wiedersehen, und ich wollte wieder mit ihr tanzen, meine Hand an ihrer Taille, sie würde andere Röcke aus anderen Stoffen haben.
So ist es dann auch gekommen. Ein Jahr später haben wir geheiratet. Ja, hatten gute und schlechte Zeiten, aber mehr gute. Morgen, morgen hätten wir –« der alte Mann brach ab, und die Garage unterbrach das nicht. Er sah auf seine Hände, auf den tief eingefleischten Ehering.
»Männer«, sagte Imboden und erhob sich und musste nicht gestützt werden. Ulli reichte ihm, das Finale ahnend, schnell ein Jungsterni. Imboden hielt es in die Garage. Auch die anderen Narren stellten ihre Stäbe dazu, die sich berührten wie Hände beim schnellen Tanz, um wieder auseinanderzugehen.
Auf Tanzen.
Auf Unruhestiften.
Auf Sterni.
Die Garage trank. Auf einen der Alten, einen von uns, Burkhardt Imboden, genannt Imboden.
DIE FÄHE NIMMT DEN UMWEG DURCH DAS WIDERSPENSTIGE FELD . Zwischen dem alten Wald und den Menschenbauten existiert nur wenig Land wie dieses, das die Menschen mit ihren mächtigen, lauten Wühlern und Schnittern nicht verwandeln. Auf der brachen Fläche schlägt die Natur ungebändigt aus. Pflanzen, Gräser, harte Büsche greifen nach der Fähe, Hunderte Aromen sirren im groben Durcheinander vor ihrer Nase, Dornen verbeißen sich in ihren Balg. Sie nimmt den beschwerlichen Weg gern auf sich – die Menschen sind dort niemals, das dichte Gestrüpp bietet Deckung bis an die ersten Bauten.
Aus dem höchsten von ihnen schlägt es Eisen gegen Eisen – wieder, wieder, wieder, weit übers Land. Die Fähe kennt das Geräusch, den regelmäßigen Rhythmus. Auch die Tauben kennt sie, die dort oben schlafen, und das alte Männchen, das die Tauben mal füttert, mal vertreibt.
Die Schläge klingen anders. Lauter, unebener als sonst. Das Eisen stockt und schleift. Quält sich. Die Fähe presst den Körper auf die Erde, macht sich klein. Etwas, das nicht Regen ist und nicht Eisenklang, lauert in den Wolken über dem Turm. So lauern die Menschen im alten Wald den Tieren auf.
Der letzte Eisenschlag hängt einer Wolke gleich über dem Land, klingt nach, klingt nach, klingt nach. Der Wind bringt der Fähe nichts. Nichts zu schmecken, das kennt sie nicht. Nichts zu schmecken verlangt größte Wachsamkeit. Im Nichts könnte alles sich verstecken.
Sie besinnt sich auf die Jagd, die Sorge um die Welpen erwacht. Sie will sich aufrichten und – kann es nicht. Nicht den Kopf drehen, nicht einmal die Lauscher spitzen. Der letzte Eisenschlag liegt eisenschwer in ihren Läufen. Vor ihrer Schnauze schwebt ein Regentropfen. Tropfen tun das nicht. Tun nicht nichts. Er müsste weiterfallen, aber etwas hindert ihn.
Die Fähe weiß, sie muss weiter, aber etwas hindert sie.
Etwas hindert die Welt.
–
Der lange eiserne Schlag verstummt. Um die Fähe wird es so still, dass sie die Stille schmeckt. Wenn alles still ist, schmeckt die Stille wie alles auf einmal. Da! Fest und hell und enorm laut entlädt das Oben einen Lichtbogen von solcher Helligkeit und Größe, dass die Fähe seine Kraft bis in die Luntenspitze prickeln spürt. Sie stößt ein Winseln aus, der Regentropfen beschleunigt, fällt.
Die Fähe flieht, so schnell das Feld sie lässt. Nur allmählich kehrt der Instinkt zurück – sie schmeckt einen Menschen. Im Bau, dem Feld am nächsten, wo lang schon keine Hühner zu finden sind und kaum Essbares, steht an einer erleuchteten Öffnung ein Menschenweibchen. Die Fähe kennt das Weibchen, seit es ein Junges war. Sie hat gelernt, das Weibchen ist keine Gefahr. Es schmeckt süßlich bange. Vielleicht weiß es von oben etwas, das ihr hier unten verborgen bleibt?
Die Fähe wendet sich ab und trabt unter Wildranken den Menschenlichtern entgegen.
Anna am Fenster weiß von keinem Fuchs auf dem Feld. Anna gefasst am Fenster, als der Donner die Stille zerriss wie Hände Papier. Im Blitz schlug das Feld ein Auge auf, Anna blieb gefasst.
Sie macht das Fenster zu. Der Regen benetzt das Glas. Tights, Windbreaker, Mütze, Stirnlampe, Anna ist bereit für ihren letzten Lauf. Sie holt Luft, schließt die Augen. Das zarte Blitzgeäst wie eingebrannt in ihre Lider.
DIE NACHT TRÄGT HEUTE DREI LIVREEN: Was War, Was Ist, Was Wird Geschehen.
AM SPORTPLATZ, ZWISCHEN DEM VEREINSHAUS UND DER
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