Vor dem Fest
verwirrt an. Dann aber auch ergerlich, so er noch hinterher riefft: Es gehn gantz andre bey Meister Mertens ein und aus!
Da hob ein Knecht mit Namen Droschler die Stimme: Anton. Ich hoff, dein Geschwetz ist nicht, umb mich zu zürnen, sonst steh Gott dir bey. Du mußt nichts andeuten, ich sags gradaus: Ich kenn die Sau! Aber das dort, diese Sünde, die kenn ich nicht, wiewol mir die schiefe Nase nicht bekannter sein könnte. Doch solch gottlos Treiben könnt ich nicht! Ich sags euch: Dieß hier, dieß ist deß Teuffels Werck! Das ist es, was es ist! Deß Teuffels Werck!
Für Droschlers Reden gab es Fürsprache, und es eilte das Volck, ihm beyzupflichten: Deß Teuffels Werck und Zauberey!
In dem Trubel ungehöret blieb der alte Wennecke. Er wunderte sich, daß der Droschler über die schiefe Nase von dem Ferkel geredt, dieselbe er stump gesehn, seiner eignen gantz gleich. Die Männer haben aber nur noch das gehöret, was sie hören gewolt, und haben nur noch das geredt, was sie gerechtfertiget hat, und dieß hieß der Teuffel. Sie standen jetzt für den andern ein, wie selten sonst, da sich der Mensch häufig umb eignen Vortheil bemüht, indem er den Nachtheil für sonst jeden suchet. Groß dieweil wurde der Haß gegen das Ferkel, dasselbe erbermlich geschrien, die Stimme eines Kindes oder eines Schweines – keiner wußte es zu sagen.
Müller Mertens packte entlich das Ferkel mit beiden Händen beym Halse, und er hob das Ferkel über den Kopff, und er warff das Ferkel im hohen Bogen in den See, wo es sofort gesunken, auff daß es niemals wider solt gesehn werden. Die Männer frohlockten, und der Stadtherr legte dem Müller die Hand auf die Schulter, und da war es aber so, daß das Ferkel wider aufgetauchet und gen das Ufer zu schwimmen begonnen, recht flott und fröhlich gruntzend.
Der alte Wennecke warf den ersten Stein.
Die Sau ward am selben Abend gesegnet und gegeßen.
Und es war dieß also im Jar 1587 geschehen im Städtlein Fürstenfelde, daß deß Müllers Sau allhier beym Schandpfahl am Tiefen See ein Wunderferkel gebar, denn es war zwar dasselbe wie ein Ferkel, hatte aber einen rechten Menschenkopff, und ein Gesicht wie meines, und ein Gesicht wie deines, und ein Gesicht wie das Gesicht von Jedermann.
HEUTE NACHT WILL ER NICHT, DER GLÖCKNER WILL NICHT MEHR . Er müsste schon in der Kirche sein, er bleibt liegen in seiner Glöckneruniform und seinen Glöcknerstiefeln und seinen Glöcknerhandschuhen, und sein Glöcknerzylinder liegt neben ihm. Er will nicht mehr läuten, will die Kirche nie wieder riechen. Die Kirche riecht wie die Perücke von Großtante Elsbeth, wie Pomade und Staub, und die Großtante stülpt dem kleinen Glöckner die Perücke über den Kopf, sein ganzes Gesicht verschwindet darunter, Pomade, Staub und Schweiß, und er soll sich im Kreis drehen und ein Gebet sprechen, die Großtante versteckt sich, er sucht sie, was für ein brutales Spiel, du kannst nur verlieren, auch das Bewusstsein, das muss jetzt fast neunzig Jahre her sein, die Großtante ist ’44 erstickt, ausgerechnet dann am Essen zu ersticken, wenn du kaum zu essen hast.
Dem Glöckner ist kalt. Hätte er auf Rosa gehört, wäre er längst Rentner, Pantoffelkino den ganzen Tag, stattdessen tun ihm die Knie auch im Liegen weh. Zwanzig Stufen,drei Mal am Tag, jeden Tag seit ’43. Das ist genug. Muss der Johann alleine machen, doch, Rosa, du kennst den, Johann Schwermuth, Sohn von Herrmann und Johanna vom Haus der Heimat, ja, ein Lehrling, da staunst du.
Siebzig Jahre, und wie viele Tage ausgelassen? Drei! An drei Tagen nur gab es kein Betläuten in Fürstenfelde! Urlaub und Wartung des Glockenstuhls jetzt einmal ausgenommen.
April ’45. Da war er erst mit den anderen geflohen, aber unterwegs starb man auch leicht, also ist er mit seiner Familie wieder zurück und gleich zu seinen Glocken. Die Russen ließen ihn gewähren.
Ende der Siebziger, wegen Schramm. Der kam vorbei, der Genosse Oberstleutnant, hat gefragt, ob der Glöckner nicht lieber aufhören möge, das Geläut erinnere die Leute an andere Zeiten. Die seien aber vorbei, hat Schramm gesagt, das Mittelalter sei, Gott sei dank, vorbei, und die neuen Zeiten bräuchten die Kirche höchstens noch als Veranstaltungsraum, bräuchten Taten und nicht Glocken. – Täter und nicht Glöckner?, hat der Glöckner gefragt. – Gustav, komm mir jetzt nicht blöd. Ich frag dich höflich, andere werden es dir befehlen.
Der Glöckner blieb den Tag zu Hause, und die Glocken
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