Vor dem Fest
ihrer Stirnlampe sticht grün die Fäulnis durch die morschen Adern. Anders als marode kennt Anna den Zaun nicht, anders als wild nicht das Feld dahinter. Das Gestrüpp knistert im Wind, die Zweige der Rosenbüsche greifen nach ihr. Schräg sprüht der Regen. Anna riecht das Cadaverin, das Feld hat wieder getötet, es gibt und es nimmt.
Anna ist aufgewachsen mit dem Feld. Beim Lernen hat es auf sie vor dem Fenster gewartet, im Hof beim Spielen hat es ihr zugesehen, selbst ist es niemals Spielfeld gewesen. Dicht beim Garten. Auf dem Schulweg. Nie schön. Hart und dreckig, trotz Tau, trotz Reif. Am Abend verkriecht es sich jäh in die Nacht, es duldet keine Dämmerung. Banale Brennnesseln. Entkräftetes Grün. Für niemanden »mein«. Für Anna ein wenig. Ungezähmt, ungebraucht, Ungeziefer. Das Jenseits neben dem Diesseits, dem einen Tag noch bewohnten Gehershof. Neben Anna. Neben Anna, Mutter und Großvater.Kurz auch einem Vater.Davor, während des Krieges, die polnischen Zwangsarbeiter, Polenhof sagten die Leute, die Polen lehnten am Zaun, rezitierten einander leise Gedichte, davor zwei oder drei weitere Geher-Generationen, alles Bauern bis auf einen Wirt, und immer: das Feld. Hat ihnen allen zugehört, wurde von ihnen allen beseelt wie von Anna jetzt: Findet das Feld sie sexy in den Tights? Das Bein auf dem Zaun dehnt Anna die Rückseite des Oberschenkels.
Zaghafte Jahreszeiten: läge kein Schnee ab und zu, vermutete man immer den kalten Frühling. Alle Blüten farblos, ja nicht auffallen. Keine Hummel hat auf so was Lust. Haar aus Brombeerranken, die Brombeeren zu schwarz, zu trocken. Erdlöcher überall, in denen nichts und alles lebt. Steine wie Narben. Gräser wie Schwerter. Und was keine Dornen hat und sich nicht wehren kann, erlebt das Ende des Tages nicht.
Ungefähr in der Mitte, eine einsame Eiche. Nicht unbedingt Prototyp für einsame Eichen in den ungefähren Mitten von Feldern. Trotz Licht und Platz: blass, kümmerliches Blattwerk, der dürre Stamm steckt schief dem Feld zwischen den Zähnen.
Annas Unterkiefer – sie springt ein paar Mal auf der Stelle – zittert. Sie langt vorsichtig über den Zaun, will einen Rosenzweig brechen. Der Zweig wehrt sich zäh. Anna ruckelt dran, zieht.Das Feld wehrt sich. Das Feld wehrt sich nicht. Erst im Menschen schlägt die Natur die Augen auf und nimmt von sich Notiz. Das Feld ist der Mensch im Dornenfell; so einem glaub kein Wort.
Anna startet die Uhr, läuft los.
Anna kennt das Feld lang. Wir kennen es länger.
… hat es so einen frühen und anhaltenden Frost in Fürstenfelde gegeben, dass alle Natur gefroren und die Ernte ausgefallen und die Menschen arg gehungert, gleichwol ein denckwürdiges Phenomen gewesen, dass eines Tags im tiefsten Winter auff der verwilderten Heide am Gehershof Äpfel in grosser Zal unter der Eich gelegen …
Was, wenn das Feld eine Sehenswürdigkeit wäre? Was, wenn Touristen kämen? Ein Bus voll schwarzhaariger Männer in beigefarbenen Jäckchen. Sie postieren sich vor dem Zaun. Einer macht ein Foto. Er geht in die Hocke, damit die anderen größer wirken. Er hält einen Vortrag. Anna versteht kein Wort. Anna weiß, er erzählt nichts als die Wahrheit.
Es kommen keine Touristen. Es kommen Jugendliche auf dem Rückweg aus dem White in Woldegk, in aller Herrgottsfrühe lassen sie einen komatös Besoffenen unter der Eiche zurück, fahren weiter, das ist so eine Tradition bei uns.
Anna atmet schwer. Sie verlangsamt ihren Schritt.
Das Feld hat getötet, es will Anna zeigen, was.
Anna will es nicht wissen.
NACHWEIS VON FUNDEN ZWEIER AUSSERGEWÖHNLICHER GEWEIHE an Lokalitäten nahe dem uckermärkischen Fürstenfelde, erstmals erwähnt in Briefen des Grafen Poppo v. Blankenburg an Herrn Bruno Bredenkamp am 17. März und am 19. März 1849.
Der Schädel und die Hörner des ersten Geweihs fanden sich im sandigen Grunde des Großen Sees. Unzufrieden mit der Ausbeute seiner Fischerknechte hatte der Graf selbst Hand anlegen wollen, um es den Taugenichtsen zu zeigen. Sein Netz verfing sich in den Sprossen, worauf er daran heftig zog und das Geweih, nicht ohne Mühen, in Gänze und ziemlicher Pracht an Land holte. Der Edelmann untersuchte das Geweih und riss sich an einer schroffen Kante die Rechte auf, die blutete und Hrn. v. Blankenburg das Leinenhemde befleckte und ihn arg erzürnte.
Der Graf konnte sich den Fund nicht erklären. Zurück auf seinem Landschlösschen schrieb er dem Freunde: Derlei Hirschen gibt es bei uns nicht! Als
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