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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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Darmstadt für Kleingeld ersteigert. Seitdem wurde daran nichts gemacht. Vielleicht war das der Plan. Das Grundstück ist groß, Bauland mit Seeblick, wenn man die Birken und die Eschen abholzt.
    Zuweilen übernehmen die Mäuse, düsen mit der Ziegelei durch das Bundesland, besuchen andere Mäuse im anderen Leerstand, am liebsten im denkmalgeschützten, treffen sich in verlassenen Straßenzügen, wo sie illegale Rennen fahren gegen ungenutzte Geschäftsräume, Schrottimmobilien und Ruinen, ein großer Spaß.
    Annas Atem stockt wieder. Der Regen ist stärker geworden, sie braucht Asphalt, hier geht es ihr nicht gut. Sie biegt auf den ehemaligen Bahndamm, läuft am verfallenen Bahnhofsgebäude vorbei und weiter Richtung Neubauten. Eine Fledermaus fällt aus dem wasserlosen Wasserturm, fliegt knapp über ihren Kopf.

WIR HABEN EIN MÄUSEPROBLEM . Sie verbreiten sich im Menschenleeren wie Bewohnten. Ernähren sich von Körnern und aufgegebenen Ideen. Fressen den Schatten der Treuhand aus der Hand. Vermehren sich unter unserem Schlaf. Graben. Laufen. Tick-tick-tick-tick über die alten Dielen. Verschrecken Investoren. Verheeren den Zugezogenen die Speisekammern. Endlich war das Dach gestopft und der Asbest beseitigt, jetzt wollte man dazu übergehen, aufs Wasser zu gucken, und dann so was: Mäuse.
    Poppo von Blankenburg hat es erwischt. Der Landmaschinenmogul hatte Familie und Freunde auf sein Landschlösschen geladen zu einem eigenen kleinen Fest. Seit dem Sommer ist der barocke Bau am Tiefen See saniert, das Grundstück eins a gepflegt und umzäunt, der stumme Suzi muss jetzt klettern, um an seine Lieblingsangelstelle zu gelangen. Ist Suzi aber egal. Es gibt auch ein Hecken-Labyrinth, aber ein sehr einfaches, keine zehn Minuten hatte es gedauert, schon hatte Meerrettich-Micha die Mitte gefunden und die Kissen aus dem Pavillon geklaut. Dazu noch private Jagdgründe und Seezugang, und bis vor kurzem ging das W-Lan noch. Jetzt leider: Nager.
    Von einem Fest am Landschlösschen hatte von Blankenburg lange geträumt: Speis und Trank auf einer langen Tafel am Ufer unter der Linde, livriertes Personal,sechsundzwanzig Grad, und im Traum trugen die Gäste Jagdbekleidung, die Frauen weiße Hosen, die eng waren, aber nicht zu eng, und Herr von Blankenburg erlegte die meisten Enten, und das mit den weißen Hosen stand dann auch als Kleidervorschrift kleingedruckt auf der Fest-Einladung, und es wurde tatsächlich gejagt, aber niemand hat gezählt, wer wie viele Enten erlegt hatte. Im Traum spielte ein Quartett aus Skandinavien Kammermusik unter der Linde.
    Mäuse kamen in Blankenburgs Traum nicht vor. Dafür in der Wirklichkeit. Ihre Jagd begann, während die Festgesellschaft jagte. Sie schlichen über die Wiese, tick-tick-tick-tick über die neu verlegten Dielen, Aberhunderte Mäuse, fraßen die Speisen, tranken den Wein. Das Personal schrie, die Mutigen stampften wie im Tanze auf zu dieser grauen Musik. Aber was kannst du schon ausrichten gegen solch eine Schar, wenn die sich mal koordiniert?
    Der stumme Suzi beobachtete das Chaos von seiner Lieblingsangelstelle aus, von wo er auch Ausblick auf die Lieblingsbadestelle des Fräuleins von Blankenburg hat. Bevor die Mäuse die Schlacht eröffneten, hatte Suzi ein Liedchen gepfiffen, und nachdem das Lied verklungen war, zogen sie sich zurück in die Ritzen der Natur.
    Die Mäuse haben auch Magdalene nicht verschont. Das Fräulein von Blankenburg (17) schätzt Dichtung mehr als Landwirtschaft. Macht kaum Gebrauch von ihrem »von«. Gern barfuß: Magdalene. Traumwandlerisch: Magdalene. Hofmannsthal, die Russen und ihre Sprache: Magdalene. Zartbesaitet. Gut verzogen. Die Sommerferien hätte sie aber schon lieber am Mittelmeer verbracht.
    Magdalene beteiligte sich nicht an den Festivitäten. Nachdem die Jagdgesellschaft aufgebrochen war, ging sie schwimmen, behutsam, um die Rohrdommel nicht zu verstören. Und da schlugen die Mäuse zu, stahlen des Fräuleins Tiara, ein Erbstück von Urgroßmutter Magdalene. Edelsteinbesetzt, voll funkelnder Erinnerungen.

»CRAZY SHIT!« , ruft der Journalist, als Frau Kranz den Speicher aufschließt, den weitere Leinwände fluten, und Frau Kranz würde ihn wahrscheinlich am liebsten da oben einsperren, damit endlich Ruhe ist, aber sie tut es nicht aus Rücksicht auf ihre hier lagernde Arbeit und ihren hier jagenden Kater.
    »Ist das Jesus?« Der Journalist ist an ein großformatiges Portrait herangetreten.
    »Das ist die Manu aus der Eisdiele.«
    Ein

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