Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
Vom Netzwerk:
Kranz hängt in Manus Eisdiele (das Stillleben Eisbecher ). Ein Kranz hängt in der Metzgerei Krone. Ein Kranz riecht in der Prenzlauer Schulmensa nach In-letzter-Zeit-gesünder-gewordenem-Schulessen-in-den-Neuen-Bundesländern.
    In Ullis Garage hing eine Zeitlang das Bild von Ullis Garage, bloß ohne den polnischen Erotik-Kalender; den hatte Frau Kranz durch eine Sonnenblume ersetzt, doch Ulli überklebte die Sonnenblume wieder mit einer winzigen, ausgeschnittenen, nackten Polin.
    Im Vereinsheim vom 1. FC Fürstenfelde hängt seit dieser Saison ein Kranz in der Umkleide als Talisman. Die Spieler berühren den Sportplatz auf dem Bild, bevor sie auf den Sportplatz in echt herauslaufen: Bringt Glück. Die Saison begann mit 0:5 und 1:4, aber die Mannschaft blieb verletzungsfrei.
    Der Journalist sieht sich eine ungewöhnliche Serie an: die Farben kräftiger, die Köpfe und Körper eckiger. Dreschmaschine mit Transmissionsantrieb auf freiem Feld heißt ein Gemälde. Auf einem anderen mit Kindern und Kartoffelkäfern gibt es sogar Text: Helft alle bei der Ami-Käfer-Bekämpfung! Der Journalist erkundigt sich nach dem Hintergrund. Frau Kranz sagt, er soll nicht so blöd tun.
    »Haben Sie jemals das Banat gemalt?«
    »Ich war zu jung.«
    »Ein paar Erinnerungen haben Sie bestimmt.«
    »Beim Malen helfen Erinnerungen nicht immer.«
    Unzählige, unzählige Bilder, aber keines von Fürstenfelde bei Nacht. Versuche waren da. Gescheitert vielleicht am Anspruch von Frau Kranz oder an Frau Kranz’ nachtblinden Augen. Gescheitert an der Nacht. Diesmal hat sie es versprochen. Ein Nachtbild für die Auktion. Aber auch für sich selbst.
    »Haben Sie eigentlich ein Lieblingsbild?«
    »Ach, wissen Sie. Ich hab so viel gemalt. Das hier, sehen Sie? Wissen Sie, wo das ist? Das ist bei Blissau der Tanzsaal. Ende der Sechziger war das. Meine Güte. Kennen Sie wohl nicht? Waren Sie noch gar nicht geboren. Wie alt sind Sie, zwanzig?«
    »Vierundvierzig.«
    »Und immer noch lokale Redaktion, ja?«
    »Lokal, was heißt das schon – Uckermark … ich mache…«
    »Ich find das doch gut! Sie kennen sich hier aus, nicht? Ich finde das gut, das Auskennen. Ich wollte nichts anderes, als mich auskennen. Deutsche Burgen, der Rhein, die Pyramiden. Ist ja in Ordnung, ist doch gut, dass es so was gibt. Für den, der da lebt, und für den, der reisen will und kann. Ich habe eine große Reise gemacht. Oder machen müssen. Mit der bin ich zufrieden. Ja, Banat. Geburt ist unser erstes Glückslos. Meines war eine Niete. Machen wir kein Spektakel darum.«
    Frau Kranz redet nur über das, worüber sie reden will, für alles andere ist ihr die Zeit zu schade. Ihre Selbstportraits zeigt sie niemandem.
    »Anfang der Neunzigerhat Blissau zugemacht. Herr Journalist, ist Ihnen eigentlich klar, dass hier früher Bier gebraut wurde und dass es sieben Gaststätten gab, und jetzt trifft man sich zum Trinken in einer Garage? Und ihr schreibt dann, Geburtenrückgang und Schulsterben. Ja, Himmelherrgott! Wenn die Gastronomie stirbt! Weniger Gaststätten – weniger Kinder, so einfach ist das. Ein Getränk miteinander trinken an einem Ort, der dazu geeignet ist, das zählt im Leben mehr, als woher man kommt.«
    Frau Kranz hat sich fein gemacht, so eine Nacht ist das. An ihren Gummistiefeln aber hängt so viel Dreck von den vergangenen Streifzügen, dass sie aussehen wie in Lehm gebrannt. Sie führt ein Selbstgespräch. Die Eschen saugen es auf, saugen das Parfüm der alten Frau auf. Noch einmal schultert sie die Staffelei, irgendwas passt ihr an der Stelle nicht, sie läuft zum Wasserrand, und es scheint, als würde sie weiterlaufen, da jetzt einfach reinlaufen in den See, so laufen, da rein.
    »Ich male mein Leben lang nur das, was ich weiß«, hat Frau Kranz zu dem Journalisten gesagt. Er hat sich schon verabschiedet, zappelt aber noch an der Tür, weil er nicht weiß, wie er den Holundersaft höflich nicht austrinken soll.
    »Wenn Sie in der Zeit zurückreisen könnten, in eines Ihrer Bilder, um den Augenblick noch einmal zu erleben, welcher Augenblick wäre das?«
    Wir geben zu, das war keine so schlechte Frage.
    Und Frau Kranz läuft tatsächlich ins Wasser, dort, wo ihr erstes Bild die sechs Frauen zeigt. Sieht man genau hin, erkennt man etwas von Frau Kranz in jeder von ihnen. Die Narbe über der Augenbraue, das spitze Kinn; auch ihr Haar war einmal blond.
    Zeitreisen. So ein Unsinn.
    Die Laternen werfen helle Flecken auf die Stadtmauer. Der Kirchturm ist angestrahlt.

Weitere Kostenlose Bücher