Vor dem Fest
in ihrer Kehle.
»Sind Sie ein Geist? Seltsam. Ich glaube nicht an Geister.«
»Frau Kranz, ich bin’s, Anna.« Anna schnappt nach Luft, hustet, geht in die Hocke. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen ?«
»Kommen Sie, ich helfe … helfe Ihnen raus.«
»Bleiben Sie weg. Kann man hier nicht mal mehr in Ruhe malen?«
Irgendwo heult ein Motor auf. Nach einer Pause wieder. Der Wind nimmt zu. Die Regentropfen blitzen im Schein von Annas Stirnlampe. »Es regnet«, sagt Anna, will weitersprechen, aber sie hat die Luft dazu nicht.
»Ausgezeichnet!«, ruft Frau Kranz. Anna richtet sich auf, dreht ab. Sie kann der alten Frau jetzt nicht helfen, sie muss sich selbst helfen.
Der Regen schlägt auf den Schirm über der Staffelei, auf den See, die Tropfen klingen wie feine Glockenschläge, und der See rumort, der See bewegt sich.
IM JAR 1589, IM JULIO, hat Kuene Gantzkow, die Magd von unsrem getreuen Schultzen, ein Töchterchen geboren, welches die Schultzin ihr weggenommen, es genottauffet, hernach erwürget und über den Zaun geworffen in den Graben, wo wir es nach etlichen Wochen gefunden. Ihren Sohn, derselbe sich mit der Gantzkow fleischlich vermischt, hieß die Schultzin die Magd todt zu schlagen, was jener auch getan. Die Schultzin wurde zur Straffe im Tiefen See ertrenckt.
NACH HAUSE, NUR NACH HAUSE . Anna nimmt den längeren Weg durch das Dorf, will lieber unter Laternenlicht nicht mehr können. Ihr Husten weckt Deutsche Schäferhunde. Am Haus der Heimat kann sie nicht weiter. Sie geht in die Hocke. Um Anna: Träume zwischen Spritzbeton. Sie presst die Lippen zusammen, atmet gegen die Lippen, es hilft nichts; sie schnappt nach Luft und kriegt keine Luft heraus.
Das Herz der Nacht schlägt in den Straßen. Die Marx steigt zur Kirche hin beleuchtet an und dahinter dunkel und steil weiter in die Wolken. Jetzt gleiten Scheinwerfer durch die Wolken in die Welt hinab, in der Anna um Atem ringt und Kakteen in Fenstern stehen. Der Wind summt die Motordrehzahl, wummert einen dumpfen Beat, trägt heran einen Duft, von Trauben süß.
Anna drückt sich in die Toreinfahrt, schaltet die Stirnlampe aus wie auf der Flucht.
Der Beat: Reggae. Die Musik und die Maschine hallen zwischen Wolkenhimmel und Sparkassenfiliale. Frau Rombach hat die Blumenkübel nicht reingeholt, die Katzen werden reinpissen, und sie muss morgen mit dem Raumspray ran, sonst sind die Kunden noch mieser gelaunt.
Blätter fegen über den porösen Asphalt, Auftritt in Schrittgeschwindigkeit: metallicblauer Kastenwagen. Die Karosserie scheppert blechern auf dem Bass. Das Scheinwerferlicht streift Anna, die erstarrt wie ertappt. Steinchen knirschen unter den Reifen, der Wagen hält.
Es wird nachgedacht, drinnen und draußen.
Anna gelingt es nicht, sich aufzurichten. Die Regentropfen flimmern im Licht, der ruhige Beat macht die Nacht nicht ruhiger. Die Scheiben sind getönt, die Reifen mit Schlamm verdreckt, Spritzer an den Seiten.
Kennzeichen: UM . Immerhin.
Der Motor verstummt, der Bass bleibt. Weich klacken die Scheibenwischer. Im Wagen tut sich jetzt schon viel zu lange nichts. Erst als das Lied zu Ende ist, schwingen die Türen auf. Ein neuer Beat, eine Welle deutscher Hip-Hop schwappt über Anna und –
– ES STEIGEN MÄNNER HERAUS , Jungs vielmehr, noch wachsen sie in ihre Glieder, nachts unterwegs sind sie trotzdem die Leader einer Armee bestehend aus zwei. Der größere: irritierend schön. Das Haar des Kleinen ganz gut gefönt, sein Blick ist streng, die Brauen gezupft, Haut gepflegt mit Männerpflegeprodukt. Über losen Hosen Mäntel aus Fell,darunter grell auf rotem Trikot: einmal ein Blitz und der Schriftzug
FC ENERGIE
einmal, ähnlich unsubtil, ein Totenkopf und darunter fett:
STIL
Und Anna? Kreidebleich. Neugier, Beistand, Assi-Verein – alles könnten die beiden sein in der Nacht, die sie erschuf, die Flügel gefaltet, im Sneaker der Huf? Sie kann es nicht wissen, es geht ihr zu beschissen, ein Urteil zu fällen. Sie will sich der Krankheit und nicht Fremden stellen. Bloß will ihre Stimme die Fragen nicht tragen: nur ein heiseres Klagen erklingt. Der Große, Schöne lächelt beschwingt, sein Sprechen singt, weich wie sehr viel Zeit.
»Mademoiselle«, fragt er, »sind Sie okay? Wir sahen Sie taumeln von far away .«
Anna flüstert: »Asthma.«
»Ah! Der Zivilisation zärtliche Rache!«
»Ist ganz und gar nicht unsere Sache«, ergänzt jetzt der Kleine mit mürrischem Blick.
»Sollen wir Sie
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