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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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das Drama von unserem Gesangsverein steht, von dessen Aufstieg und Fall zu Kriegsbeginn, oder das Drama um unseren Schützenverein und dessen Aufstieg und Fall nach Kriegsende.
    Lebt wohl, ihr Schützenbrüder, gedenket manchmal der alten Kameraden, und seid gegrüßt mit Schützenheil und gutem Schuss!
    Das ist von Paul Wiese. Wiese war unser Chronist bis in die Fünfziger. Frau Schwermuth ist seit der Wende seine Nachfolgerin, nachdem das Amt in den Jahren dazwischen vernachlässigt wurde. Historisch, auf Fürstenfelde bezogen, weiß Frau Schwermuth alles, oder sie weiß, wie sie es herausfinden kann.
    Der Schützenverein interessiert uns historisch nicht.
    Wissen interessiert uns historisch nicht.
    Das Haus der Heimat verkauft aus Bananenkisten antiquarische Bücher, die uns historisch nicht interessieren, Eldorado für Staubmilben. Sie kosten zwischen fünfzig Cent und vier Euro. Das Heft Unser Fürstenfelde, herausgegeben vom Geschichtsverein Fürstenfelde e. V., kostetfünf Euro für Einheimische, acht für Radtouristen.Das Poster Fürstenfelde aus dem Hubschrauber (1996) vierzehn D-Mark. Die neueste CD von unserem Feuerwehrchor, Schall und Rauch, »We didn’t start the fire« kostet 7,89 Euro. Am Abend haben sie Beethovens »Hymne an die Nacht« für das Fest geprobt. Es klang fein, sehr fein. Auch diverse Karten von der Gegend können in der Heimat erworben werden: Wander-, Radwander-, See- und vier unterschiedliche Postkarten.
    Aktuell findet eine Ausstellung über Kachelöfen im Haus der Heimat statt. Die waren früher unser wichtigster und schönster Exportartikel. Eine zweite Ausstellung zeigt DDR -Alltagsgegenstände: Fön, Nähmaschine, Dosenöffner, Volkspolizist, Dose etc.
    Kacheln und DDR -Alltag interessieren uns historisch nicht.
    Uns interessiert die massive Holztür im Keller. So ist das mit Türen und mit Kellern. Unversehrt trotz Alter und Feuchtigkeit. Uns interessiert, warum um die Tür so viel Aufhebens gemacht wird. Um das Verschließen der Tür.Uns interessiert das Zimmer dahinter. Circa sechs mal sechs Meter, asymmetrische Wände aus unbehauenem Fels, eher Höhle als Zimmer. Welcher Krieg war das überhaupt, als der alte Lutz die Leute hier versteckte?
    Historische Genauigkeit interessiert uns nicht.
    Über den Raum im Keller wissen wir wenig. Es handelt sich um eine Art lokalgeschichtliches Archiv. Was da aber genau archiviert wird, darüber hält unser Geschichtsverein sich bedeckt. Und das ist doch interessant. Das ist doch, als würdest du etwas sammeln, aber du verrätst niemandem, was. Entweder also, du schämst dich, weil du ein fünfzigjähriger Ingenieur bist, der benutzte Labellos klaut und hortet, oder das, was du sammelst, ist zum Sammeln verboten, zum Beispiel, weil es vom Aussterben bedroht ist, es gibt ja solche Äffchen etc.
    Dem Geschichtsverein, also dem Vorstand des Vereins der Freunde des Hauses der Heimat, gehören an:Frau Kranz, Frau Schwermuth, Imboden, Bäcker Zieschke, der Glöckner und bis vor kurzem der Fährmann. Würde sich Frau Schwermuth nicht gelegentlich stolz verplappern und würde nicht oben manchmal was ausgestellt, wüssten wir über das Archiv noch viel weniger.
    Zum ersten Mal erfuhren wir 2011 davon. Frau Schwermuth stellte bei der Gemeinde, in Person von der Bürgermeisterin Frau Zink, einen Antrag auf Finanzierung eines elektronischen Schlosses für die massive Holztür sowie eines Geräts für die Regulierung der Luftfeuchtigkeit. Die Rede war von einem »sensationellen historischen Fund«, den der Geschichtsverein entsprechend gut und sicher verwahren wolle. Darunter seien Dokumente, die nicht einmal als verschollen gelten würden, da niemand gewusst habe, dass sie überhaupt existierten. Man habe mit der Sichtung bereits begonnen und hoffe, die Unterlagen recht bald der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zugänglich machen zu können. Das in der Entstehung befindliche Archiv nannte Frau Schwermuth »Archivarium«.
    Die Bürgermeisterin war die falsche Ansprechperson, aber stand natürlich sofort auf der Matte und wollte den »sensationellen Fund« besuchen. Frau Schwermuth erlaubte es nicht. Frau Zink war erst belustigt, dann bestürzt, weil es kein Witz war. Frau Schwermuth sagte, es tue ihr leid, aber sie könne nicht jeden einfach so reinlassen. Was heißt denn hier jeden – usw., die Zink war kurz davor, ihr Amt zu vergessen, verlangte dann aber doch nur, den Vereinsvorsitzenden zu sprechen, das war damals der Fährmann. Sie zogen sich

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