Vor dem Fest
bestetiget, daß nicht die Gelegenheit Diebe macht, sie selbst ist der größte Dieb.
IN DER NACHT NEBEN DER STRASSE AUF DER WIESE MIT DER STIRN AUF DEM LENKRAD : Wilfried Schramm, ehemaliger Oberstleutnant, dann Förster, jetzt Rentner und schwarz bei Von Blankenburg Landmaschinen . Im Schnitt liegen im Tatort im Laufe eines Jahres mehr tote Autofahrer mit dem Kopf auf dem Lenkrad als in sechs ausgewählten amerikanischen Fernsehkrimi-Reihen im gleichen Zeitraum.
Herr Schramm ist ein kritischer Mann. Herr Schramm findet es albern, dass im Tatort so viele tote Autofahrer mit dem Kopf auf dem Lenkrad liegen. Gelegentlich auf der Wange, das Gesicht zerknautscht, meistens auf der Stirn. Da wird Herr Schramm kategorisch, Herr Schramm schaltet um, wenn wieder einer so daliegt.
Herr Schramm liegt mit dem Kopf auf dem Lenkrad und pfeift die Tatort -Melodie. Herr Schramm stellt sich vor, wie das wäre, wenn es einen Fürstenfelder Tatort gäbe. Welcher Todesfall würde sich am besten als Fall eignen? Er selbst nicht mitgerechnet. Unter den Top Drei wären wohl: der Chinese, der Traktor und Frau Rebe. Der Traktor, also der Rüdiger unter dem Traktor.
Der Chinese wäre gut, weil es wahrscheinlich gar nicht Selbstverteidigung war, wie alle behauptet haben. Sondern der Chinese war halt ein Chinese und der Mörder einer von hier. Aber das ist schon fast ein Jahrhundert her, das muss nicht sein, dass man gleich den ersten Fürstenfelde- Tatort so in die Geschichte setzt.
Der Traktor wäre schon besser. Der Rüdiger lag die ganze Nacht tot drunter. Und sein Hund bringt Rüdiger trotzdem eine tote Taube. Legt die ihm neben den Kopf, furchtbar. Besoffen, haben die Leute gesagt, Unfall. Der Traktor, unter dem der Rüdiger lag, war Rüdigers Traktor und stand auf Rüdigers Gehöft. Rückwärts gerollt. Und die tote Taube lag am Morgen da. Furchtbar.
»Ich weiß es nicht.« Herr Schramm hat mit dem Gepfeife aufgehört. Seine Stimme im Wageninneren wie eine, irgendeine Stimme, und nicht seine Stimme. Weil, es ist so: Erstens, der Rüdiger hat Alkohol gut vertragen. Das hat Herr Schramm mehrmals am eigenen Kopfschmerz erfahren. Und zweitens, er hat seine Traktoren besser gekannt als Herr Schramm die Tatort -Melodie, und so eine Melodie ist ja wohl um einiges einfacher als ein Traktor. Wobei er gerade feststellen muss, dass die zum Pfeifen ziemlich anstrengend ist. Ja, und drittens, ein paar Monate nach Rüdigers Tod hat von Blankenburg endlich Rüdigers Landmaschinen-Betrieb erwerben können. Die Erben haben sich nicht gewehrt. Anders als Rüdiger.
Herr Schramm pfeift wieder los.
Am besten wäre trotzdem die Rebe. Ausgerechnet am 3. Oktober. Also 1990. Nicht zu fassen. Elf Messerstiche. Wer die Rebe kannte, und das waren viele, kann seitdem am 3. Oktober nicht richtig feiern, die wenigen, die das überhaupt ehrlich feiern, und da siehst du mal, wie schnuppe einigen Leuten, zum Beispiel dem Mörder, die Wiedervereinigung war.
Das war übrigens ein Lehrling von ihrem Mann gewesen, der Mörder. Der hat die Rebe immer gesehen, wenn sie in den Betrieb kam, und er hat sich die vorgestellt, nackt, und er wollte, dass die Rebe sich für ihn auszieht. Aber die hat das eben leider nicht gewollt, und man muss schon sagen, die sah sehr gut aus, und dann hat er zugelangt, elf Mal.
Jemand namens Sigrun, ein Psychiater oder eine Psychiaterin, bei dem Namen ist sich Herr Schramm nicht ganz sicher, hat herausgefunden, dass Frauen im Schnitt kreativer töten als Männer. Und bei Verbrechen, in denen ein Messer zum Einsatz kommt, werden Frauen mit einer höheren Anzahl von Messerstichen erstochen als Männer.
Manchmal denkt Herr Schramm aber auch: Wer denkt sich die Fragen für diese Statistiken eigentlich aus? Und dann ist er froh, dass es sie gibt, die Leute, die sich das ausdenken. Herr Schramm glaubt an Talent, Herr Schramm glaubt, dass er selbst für solche Fragen talentiert gewesen wäre, ihm fallen ja ständig welche ein, immer nur Fragen, an sich und an hundert Leute, das wäre kein schlechter Beruf für ihn gewesen, damals.
Das mit Frau Rebe, dass die gut aussah, ist natürlich gar keine Entschuldigung für die Tat.
Herr Schramm hatte den Rüdiger gemocht. Er war Herrn Schramms erster Chef nach der Wende. Hat ihm so einiges über Traktoren beigebracht, sonst hätte man ihn bei Von Blankenburg Landmaschinen später sicher nicht übernommen.
Herr Schramm pfeift die Tatort -Melodie, und es hat mit dem Auto nicht geklappt, jetzt muss er
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