Vor dem Fest
es doch mit der Pistole machen.
Die Rebe wäre deswegen ein guter Fall, weil ein paar Tage nach der Tat ihr Mann mitgenommen wurde. Bis heute weiß niemand, warum. Eifersüchtiger Ehemann, freizügige Ehefrau. Was die Leute so reden. Dann hat man den Lehrling gefasst, und der Rebe kam wieder frei.
Der Junge hat es niemals zugegeben. Dass er Frau Rebe gern mal unter den Mantel geguckt hätte, das schon. Und dass er sie in der Tatnacht, auch damals war es die Nacht vor dem Fest, danach gefragt hat, nach dem Sehen-Dürfen. Er hätte wirklich nur gucken wollen, nicht anfassen. Unter den schönen Mantel. Aber sie wollte nicht. Am Ende soll jeder seiner Wege gegangen sein. Mehr zuzugeben gäbe es nicht.
Herr Schramm pfeift, und Herr Schramm drückt die Pistole an seine Schläfe, hebt den Kopf aber vom Lenkrad, damit er als Toter ja nicht den Tatort -Toten auf dem Lenkrad entspricht. Er will sogar zwischen die Sitze rutschen, um ganz sicherzugehen, da klopft es gegen die Scheibe. Eine junge Frau steht da und macht diese Geste zum Runterkurbeln der Fenster, dabei hat sogar Schramms alter Golf eine Fensterautomatik.
18. MÄRZ 1927. ZWISCHENFALL MIT TÖDLICHEM AUSGANG.
Ein Chinese, der ohne Wandergewerbeschein Hausierhandel trieb, wurde von Oberlandjäger Polster gestellt. Der Chinese beschimpfte Polster und griff ihn tätlich an, so daß der sich gezwungen sah, von seinem Säbel Gebrauch zu machen. Als der Chinese ihm den Säbel entriß und mit diesem auf den Beamten eindrang, machte der von seiner Pistole Gebrauch und streckte den Gegner nieder. Der Chinese wurde schwerverletzt in das Krankenhaus Prenzlau gebracht, wo er bald darauf verstarb.
Seine letzten Worte verstand niemand.
UNS INTERESSIERT DAS ELEKTRISCHE SCHLOSS an der massiven Holztür zum Archivarium. 2011 wurde das Haus der Heimat renoviert und das alte Vorhängeschloss durch eines mit Code-Eingabe ersetzt. 2011 waren 700 Jahre seit Erstnennung Fürstenfeldes vergangen und zwischen Januar und Juli drei junge Autofahrer gegen die Chausseeplatanen gefahren, einer hat es nicht überlebt, Thorsten Brandt, passionierter Computerspieler, 2010 Drittplatzierter bei den deutschen Meisterschaften in Counter-Strikeim Team-Wettbewerb.
Den Code kennt nur der Geschichtsverein.
Uns interessiert die Geheimnistuerei.
Bei der 700-Jahr-Feier gab es im Haus der Heimat einen Tag der offenen Tür. Auch das Archivarium sollte geöffnet werden. Frau Schwermuth trug Tracht, es war nicht hundertprozentig klar, wessen. Die Bürgermeisterin hielt eine Rede, auch über das neue Schloss. Sie sprach über den Standort Fürstenfelde, weil Standort immer nach Arbeitsplätzen klingt. Sie gestikulierte mit den Armen, als zeigte sie die Größe von einem sehr großen Fisch an. Dann tippte Frau Schwermuth den Code ein, und die massive Holztür schwang summend auf.
Ooh, aah, Applaus.
Die Wände waren mit Laken abgedeckt und der Raum leer. Bis auf ein Podest aus Plexiglas, darauf ein Papierstapel, und ringsum acht Chorsänger von Schall und Rauch . Wegen Verzögerungen im Ablauf hatten sie eine Stunde hinter geschlossener Tür in dem kleinen Raum ausharren müssen. Sie wirkten erschüttert und erhitzt.
Bei den Papieren handelte es sich um die Originalhandschrift der dorfberühmten Dorfchronik von Paul Wiese. Anlässlich des Jubiläums hatte Frau Schwermuth die Chronik aus dem Museum für brandenburgische Geschichte »besorgt«.
Wir waren enttäuscht. Von dem Archivarium hatten wir uns mehr erhofft. Frau Schwermuth erklärte, sie hätte mangels geeigneter Präsentationsmöglichkeiten und in Erwartung großen Andrangs die doch wertvollen Stücke in Sicherheit bringen müssen. Nicht alle sahen das ein, aber gut.
Schall und Rauch gaben alles. Die Akustik im Keller war sensationell. Senioren erröteten, Junioren nahmen die Fäuste aus den Taschen. Gedränge im Gewölbe. Die unbehauenen Felswände schwitzten. Um ein Haar hätte es nicht genug Luft für alle gegeben, fragen Sie Frau Kranz.
An Paul Wiese interessiert uns historisch höchstens Paul Wieses Melancholie. Wiese hat seinerzeit die Geschichte der Häuser und ihrer Bewohner nachzuvollziehen versucht. Dasunddashaus dannunddann von demunddem erbaut, im Besitz von demunddem gewesen, soundso untergegangen oder steht noch. Ein Schwank hier, eine Anekdote dort. Sätze, die mit »Oh« anfangen, charmant aufgeregt, wie Melancholiker sind, wenn sie etwas gut finden. Paul Wiese fand Fürstenfelde gut. Ein Mann, der sich nach Beständigkeit
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