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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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vielen Tanzpartnerinnen ist mit Ditzsche und den Frauen nie was geworden.
    »Ditzsche, du bist so steif wie deine Hühner«, hat der Fährmann mal gesagt. Ditzsche hat leiseerwidert:
    »Meine Hühner sind nicht steif, das kannst du als Laie gar nicht beurteilen.«
    Steif war auch nicht das richtige Wort. Eher: beschämt. Ditzsche wirkte, außer beim Tanzen, permanent beschämt. Einen Dauerbeschämten hältst du nicht aus. Sobald die Musik aus war, sah Ditzsche zu Boden. Wusste nicht, wohin mit den Ellenbogen und Schultern, stellte keiner Frau je eine Frage. Und das geht nicht, Frauen musst du Fragen stellen.
    Nach der Sache mit Durden, nach dem Racheakt, verlor Ditzsche seine Anstellung und verschwand für ein paar Jahre. Die einen sagen, er habe sich tänzerisch auf Kuba weitergebildet.Die anderen sagen: Ihr wollt immer, dass die Leute irgendwas Besonderes machen, die Leute machen aber meistens nichts Besonderes, wir haben Ditzsche gesehen, der klettert in Prenzlau auf Baugerüsten.
    2003 ist er zurückgekommen, das kann man sonst von den wenigsten behaupten. Durden war pensioniert, die alten Kader trugen neue Anzüge, Polka war immer noch Mode, Rammstein war dazugekommen, ähnlich schlicht vom Prinzip, und beides geht in Ordnung. Was früher nicht funktioniert hatte, funktionierte immer noch nicht oder ein bisschen anders und – je nachdem, wie man so steht zur Vergangenheit – eben besser oder schlechter.
    Dietmar Dietz funktionierte wie immer. Er begann eine neue Aufzucht. Sollte er die Briefe wirklich gelesen haben, so mag ihm das die Menschen hier nähergebracht haben, aber er selbst ist niemandem näher.
    Er wird seinen Innenhof zum Fest öffnen. Das Gehege wird sauber sein, die Hühner fabelhaft in der Sonne brillieren. Die Auswärtigen werden ihnen Komplimente machen, als gäbe es kein Morgen. Und am Abend wird Dietmar Dietz tanzen, gut und unverschämt.

NOCH IST ZEIT VOR DEM FEST , aber bis zur Dämmerung ist es nicht mehr lang. Der Adidas-Mann hat sich früher als sonst vor der Bäckerei postiert, vielleicht glaubt er, dass die Zieschkes heute eher aufmachen. Er hält den Kopf gesenkt, reibt sich die Hände in Vorfreude oder vor Kälte. Heute trägt er den weißen Trainingsanzug. Ein Hosenbein hängt in Fetzen, als hätte ihn ein Raubtier dort erwischt.
    Wir sind zu müde für Argwohn, was für eine Nacht. Es ist egal, was wir vom Adidas-Mann halten. Er braucht keine anderen Anzüge als die beiden Trainingsanzüge und keine andere Nahrung als O-Saft und Puddingbrezel. Er braucht nicht mehr Worte als die für seine morgendliche Bestellung. Nicht jeder braucht eine Geschichte.
    Lada ist dem Adidas-Mann zuvor nie begegnet. Jetzt tritt er mit dem stummen Suzi auf die Straße, beide sind unausgeschlafen, haben bis gerade gezockt, um wach zu bleiben. Lada trägt immer noch seinen Shell -Overall, Suzi fährt sich mit dem Kamm durch das Haar, die Drachenschuppen seiner Stirn funkeln im Laternenlicht. Der Plan lautet: Früher bei Eddie entrümpeln, früher feiern.Sie stecken sich die Kippen an. Gleichzeitigkeit, Kameradschaft, Glück.
    Ja, und vor der Bäckerei: der Typ im Trainingsanzug. Ladas Mutter hat mal zugegeben, schon auch Angst vor dem zu haben, weil er nicht unbedingt jemals lacht. Daran denkt Lada vielleicht jetzt. Dass dort eine Angst seiner Mutter steht und dass er sich um diese Angst schon viel früher hätte kümmern sollen: Er bedeutet Suzi, zu warten.
    Der Adidas-Mann reibt sich weiter die Hände, auch nachdem Lada sich zwischen ihm und der Ladentür aufgebaut hat. Etwas gesagt hat. Es lauter wiederholt hat. Etwas gefragt hat. Suzi tippt Lada an die Schulter, zeigt mit Fingerschritten ungeduldig: »Lass uns gehen!«
    Lada schiebt dem Adidas-Mann den Zeigefinger unter das Kinn und hebt es an. Er will ihm in die Augen schauen. Die Augen sind Kornblumen. Er blinzelt nicht. Er ist ein brachliegendes Feld. Über das Feld gehen Ladas Worte wie Wind. So wie Lada jetzt ist, ist Lada ein Arschloch.
    Der stumme Suzi packt ihn am Arm. Zieht ihn weg. Hilft dem Adidas-Mann auf. Und wie er das tut, flüstert der Adidas-Mann, Blut an der Lippe, ihm etwas ins Ohr.
    Lada tritt gegen die Laterne, die Laterne geht aus.
    Fremde kommen selten zu uns. Selten bleiben sie.
    Selten bleiben uns Fremde, die länger bei uns bleiben, fremd.
    Selten freunden wir uns mit den Fremden an, auch wenn sie länger bei uns bleiben.
    Wir sind sozial. Wir sind asozial. Wir sind aufgeschlossen. Wir sind argwöhnisch. Wer mag das schon,

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