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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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gestört zu werden, niemand.
    Das Rollo knattert. Frau Zieschkes Waden, Schürze, Busen, der freundlich runde Kopf. Die Türglocke bimmelt barmherzig. Die Bäckerin wirkt verwirrt ob der Versammlung vor dem Laden. Der Adidas-Mann streicht sich über das Haar, als hätte der Sturz nur seine Frisur durcheinandergebracht.
    Die Zieschke zögert. Er kann schon rein, wenn er will, sagt sie. Dauert aber, bis alles so weit ist.
    Kornblumen, Adidas -Streifen, wir kennen seinen Namen nicht, wissen nicht, was er kann. Der Adidas-Mann betritt den Laden. Mit Blut an der Lippe stellt er sich gleich in der Ecke an den Tisch. Die Zieschke legt ihm eine Packung Taschentücher hin.
    Das Tupfen eines Taschentuchs auf einer Wunde.
    Die Zieschke nickt ihrem Sohn draußen zu. Die Jungs ziehen weiter. Sie setzt den Kaffee auf. Der Adidas-Mann hat die Wunde abgetupft und drückt die Faust in die Hand, knöchelweiß fest.
    Die Bäckerin serviert ihm den Kaffee. Auf der Untertasse liegt ein Keks.
    Er zerbricht den Keks zwischen den Fingern.
    Beim Kauen schließt er die Augen.
    Wir wissen nicht, woher er kommt. Wir wissen nicht, wohin er geht. Ein Fremder in unserer Bäckerei isst und trinkt.

UNTER EINER BUCHE, AM RAND DES ALTEN WALDES , liegt verletzt auf feuchtem Laub die Fähe. Der Nebel glüht über den Feldern, hüllt die Menschenbauten ein. Die Fähe atmet in schnellen, kurzen Zügen. Das kleine Gehäuse liegt vor ihrer Nase, darin sie Eier schmeckt, Eierschale und noch kein Dotter. Sie erhebt sich, humpelt mit dem Gehäuse im Maul tiefer in den Wald.
    Der Dachs wittert der Fähe forschend hinterher; sie hat etwas, das ihm gefällt – er folgt ihr. Die Fähe weiß um den Dachs. Weiß um seine Schnelligkeit und Wendigkeit und sein Gebiss. Er wird es doch nicht wagen. Der Dachs schmeckt Blut an der Fähe, schmeckt das Huhn, die Eier. Besser wäre es für ihn, wenn er auch ihre Entschiedenheit schmecken könnte. Diese Beute wird sie ihm kampflos nicht überlassen. Der Dachs überholt die Fähe und bleibt stehen. Die Fähe trabt auf den Dachs zu. Die Fähe ist ruhig.
    Es kommt Bewegung in den Nebel: Der Wind trägt ein Aroma aus dem Wald heran, das sowohl der Fähe als auch dem Dachs missfällt, es überrascht sie, erschreckt sie fast. Der Dachs vergisst darüber die Eier und trollt sich, die Fähe aber ruft einmal hell und langgezogen eine Warnung und läuft so schnell sie kann weiter. Bitter und zu süß, Aas und Kot, ihr Verwandter, im alten Wald nie zuvor geschmeckt. Wolf.
    Am Bau angekommen lässt die Fähe das Eiergehäuse fallen, es klappt auf, ein Ei rollt heraus. Viele mehr hätte sie hier für ihre Welpen. Sie bellt leise, ruft in rascher Folge. Sie kommen nicht. Sie winselt, sie schmeckt Blut, schmeckt Wolf, sie keckert, sie schmeckt Buche, Esche, Moos, Blut, Blut, Wurm, Mensch, sie schmeckt die Eier, sich, die Welpen, sie schmeckt den erdigen Honig ihres Fells, kriecht in den Bau, schmeckt Wurzeln, schmeckt Spiel, schmeckt Welpen, findet sie nirgendwo, sie nimmt die Fährte auf, sie schmeckt Wolf, hier, hier, hier, sie schmeckt Sterne Nacht Zeit Tod, die Fähe erstarrt mit weit geöffnetem Fang laut keckernd, rufend, winselnd, vorbei.
    Die Fähe frisst die Eier. Vertilgt die Eier. Die Fähe bellt. Die Fähe rollt sich ein in ihrem Bau. Leckt den verletzten Lauf.

DIE FLEDERMÄUSE SCHWIRREN IHREN KAVERNEN ENTGEGEN . Die Wildschweine grunzen satt. Sacht landet das Käuzchen, singt Huh-Huhuhu-Huuu.

LADA MÖCHTE BEI WETTEN, DASS? MIT DIESER WETTE AUFTRETEN : Er könnte an der Bauart einer Straßenlaterne erkennen, wo genau er wie hart zutreten muss, damit sie mit einem Tritt ausgeht. Er wettet, dass es ihm bei neunzehn von zwanzig Laternen gelänge, allerdings nur mit welchen aus Berlin, Brandenburg und Meck-Pomm.
    Der stumme Suzi will Lada etwas mitteilen: »War Mann fremd etwas mir sagen.«
    Lada sagt: »Ist ja irre.«
    Suzi schüttelt den Kopf, stößt Lada ungeduldig an, wiederholt die Gebärden.
    »Mann, Suzi, was willstu denn?«
    Suzi zeigt auf seine Turnschuhe.
    Lada sieht nicht hin, er ist zu aufgewühlt. Er hätte gern gewartet, bis der Penner wieder rauskam aus der Bäckerei, »um ihn in die Schranken zu weisen«. Jetzt sagt er: »Weißt du, Suzi, die Leute denken, der Typ ist einfach nur fertig. Ex-Süchti oder was, einer wie Hirtentäschel, nur kaputt. Ist er aber nicht. Weil, hast du gesehen, wie er gelandet ist? Wenn du kaputt bist, fängst du dich nicht so ab. Wenn du kaputt bist, fällst du um.«
    Suzi schüttelt

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