Vor dem Frost
der Tasche und schrieb sich ihre Telefonnummer aufs Handgelenk.
Sie gaben sich die Hand.
»Vielen Dank, daß du zugehört hast«, sagte Amy Lindberg.
Sie verschwand in Richtung der Buchhandlung.
Es gibt einen Mann, der Torgeir Langaas heißt, dachte Linda. Er bewegt sich wie ein seltsamer Schatten dicht in meiner Nähe.
Die Löscharbeiten waren jetzt in eine neue Phase getreten, die Bewegungen waren langsamer, als wolle man bekräftigen, daß der Brand unter Kontrolle war. Sie sah ihren Vater mit dem Brandmeister reden. Als er das Gesicht in ihre Richtung wandte, duckte sie sich, obwohl er sie im Dunkeln, wo sie stand, unmöglich sehen konnte. Stefan Lindman kam in Begleitung der jungen Frau, die Linda zuvor hatte weinen sehen. Er macht sich gut neben weinenden Frauen, dachte sie. Aber ich weine selten, das habe ich abgeschüttelt, als ich erwachsen wurde. Sie folgte ihnen mit dem Blick. Stefan Lindman führte die Frau zu einem Polizeiwagen, sie wechselten ein paar Worte, dann öffnete er die Tür und schloß sie hinter ihr.
Das Gespräch mit Amy Lindberg ging Linda unentwegt durch den Kopf.
Gud krevet.
Gott hat gefordert. Was gefordert? Daß eine Zoohandlung zerstört werden sollte, daß hilflose Tiere unter unbeschreiblichen Qualen sterben sollten? Erst die Schwäne, dachte sie. Dann ein Jungbulle auf einem Hof an der Straße nach Malmö. Allein, verkohlt, tot. Und jetzt ein ganzer Laden. Bestimmt war es derselbe Täter. Der ruhig, ohne Eile, davongegangen war und gerufen hatte, daß Gott etwas gefordert habe.
Es gibt einen Norweger in all dem, dachte sie. Tote Tiere, verschwundene Menschen, auferstandene Väter und meine Freundin Anna, die weg ist. Sie blickte sich unter den Umherstehenden diesseits der Absperrbänder um, in der eitlen Hoffnung, Anna könne sich unter ihn befinden.
Linda trat zu Stefan Lindman. Er sah sie erstaunt an. »Was machst du hier?«
»Ich gehöre zu den Schaulustigen. Aber ich muß mit jemandem reden.«
»Worüber?«
»Über den Brand.«
Er überlegte. »Ich fahre nach Hause und esse was. Du kannst mitkommen.«
Sein Wagen stand beim Hotel Continental. Sie fuhren nach Westen. Er wohnte in einem von drei Wohnblöcken, die dem Anschein nach planlos zwischen Einfamilienhäusern und einer Recyclinganlage für Altpapier ausgestreut worden waren.
Nummer 4 war das mittlere Haus. Die Glasscheibe der Haustür war zerbrochen und zum Teil durch Pappe ersetzt, die ihrerseits zertreten worden war. Linda las einen Spruch, den jemand mit Filzstift an die Hauswand geschrieben hatte.
Das Leben ist verkäuflich. Ruf das Fernsehen an und erzähle.
»Ich grüble jeden Tag darüber nach«, sagte er. »Ein bedenkenswerter Text.«
Hinter einer Tür im Erdgeschoß war das hysterische Lachen einer Frau zu hören. Stefan Lindman wohnte ganz oben. An der Tür klebte ein gelbschwarzer Wimpel mit der Aufschrift ›IF Elfsborge. Linda meinte zu wissen, daß es eine Fußballmannschaft war. Unter dem Wimpel hing ein abgerissenes Stück Papier mit seinem Namen.
Er schloß auf und gab ihr einen Kleiderbügel für ihre Jacke. Sie gingen ins Wohnzimmer. Es standen einzelne Möbelstücke herum, als seien sie zufällig an ihrem Platz gelandet.
»Ich kann dir nicht viel anbieten«, sagte er. »Wasser, ein Bier. Ich habe fast nichts im Haus. Dies ist nur eine provisorische Wohnung.«
»Wohin willst du ziehen? Du hast etwas von Knickarp gesagt.«
»Ich renoviere da ein Haus. Es hat einen großen Garten. Da werde ich mich wohl fühlen.«
»Ich wohne zu Hause«, sagte Linda. »Ich zähle die Tage, bis ich ausziehen kann.«
»Dein Vater ist doch in Ordnung.«
Sie sah ihn fragend an. Es kam unerwartet. »Was meinst du damit?«
»Genau das, was ich sage. Dein Vater ist in Ordnung. Meiner war es nicht.«
Auf einem Tisch lagen Zeitungen und weitere gelbschwarze Wimpel. Sie zog eine der Zeitungen heran.
Boras Tidning.
»Ich habe alles andere als Heimweh«, sagte er. »Aber es macht mir Spaß, über all das zu lesen, was mir jetzt erspart bleibt.«
»War es so schlimm?«
»Ich fühlte, daß ich wegmußte, als mir klar wurde, daß ich den Krebs überleben würde.«
»Und warum Ystad?«
»Ich habe eine Vorstellung, daß es etwas Besonderes sein muß, in einem Grenzland zu leben. Mit dem Rest von Schweden im Rücken. Schonen ist ein Grenzland. Besser kann ich es nicht ausdrücken. Jetzt bin ich hier.«
Er verstummte. Linda wußte nicht, wie sie anfangen sollte. Er stand hastig vom Sofa auf. »Ich hole auf jeden
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