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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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versteht.
    Jetzt geht es um den Menschen.
    Als Linda in der Mariagata aus dem Wagen stieg, spürte sie einen Geruch, der sie an Marokko erinnerte. Herman Mboya und sie hatten einmal eine einwöchige Charterreise dahin gemacht. Sie hatten das billigste Angebot gewählt, das Hotel war voller Kakerlaken, und im Laufe der Woche hatte Linda allmählich eingesehen, daß ihre Zukunft vielleicht nicht so deutlich war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Im Jahr danach trennten sich ihre Wege; Herman zog es zu guter Letzt zurück nach Afrika, sie folgte einem verschlungenen Weg, der sie schließlich zur Polizeihochschule führte.
    Der Geruch weckte Erinnerungen. Brandgeruch. Sie erinnerte sich an die nächtlich brennenden Müllberge in Marokko. Aber keiner verbrennt Müll in Ystad, dachte sie. Dann hörte sie Feuerwehrwagen und Polizeisirenen. Sie verstand. Es brannte irgendwo im Zentrum. Sie begann zu laufen.
    Es brannte noch, als sie keuchend zur Brandstelle gelangte. Wo war ihre Kondition geblieben? Sie war wie ein altes Weib, das aufgehört hatte, sich zu bewegen. Jetzt sah sie hohe Flammen aus einem Dach schlagen, ein paar Familien in den Obergeschossen waren evakuiert worden. Ein angekohlter Kinderwagen stand verlassen auf dem Bürgersteig. Die Feuerwehrleute waren damit beschäftigt, angrenzende Gebäude zu schützen. Sie trat an eine der Absperrungen.
    Ihr Vater stand da und machte Svartman Vorwürfe, weil eine Zeugin nicht gründlich vernommen worden war, und dann hatte man sie noch laufenlassen.
    »Wir werden diesen Irren nie zu fassen kriegen, wenn wir nicht einmal die einfachste Routine einhalten.«
    »Martinsson hatte die Sache in der Hand.«
    »Er sagt, er hätte zweimal an dich übergeben. Jetzt sieh zu, wie du diese Zeugin herschaffst.«
    Svartman ging. Er war auch wütend. Gereizte Büffel, die herumlaufen, dachte sie. Schade um die Zeit, die dabei draufgeht, Reviere zu markieren.
    Ein Feuerwehrauto fuhr rückwärts an den Brandherd heran; im selben Moment löste sich ein Wasserschlauch und verspritzte peitschend Wasser. Wallander hüpfte zur Seite und entdeckte gleichzeitig, daß Linda gekommen war.
    »Was ist denn passiert?«
    »Eine oder mehrere Brandbomben im Laden. Wieder Benzin. Genau wie mit den Schwänen und dem Stierkalb.«
    »Keine Spuren?«
    »Es gab eine Zeugin, aber sie haben es vermasselt und sie laufenlassen.«
    Er war so ärgerlich, daß er bebte. So wird er sterben, dachte sie plötzlich. Erschöpft und empört wegen einer Schlamperei bei irgendeiner dramatischen Mordermittlung. So sehen seine letzten Tanzschritte aus, wenn es stimmt, was Zebra gesagt hat, daß jeder Mensch nach dem schönsten Sprung sucht, um sein Leben zu verlassen.
    »Wir müssen die kriegen, die das hier machen«, unterbrach er ihre Gedanken.
    »Die? Das hier ist etwas anderes.«
    »Was?«
    Er sah sie an, als müsse sie die Antwort wissen.
    »Ich weiß nicht. Es ist, als ginge es eigentlich um etwas anderes.«
    Ann-Britt Höglund rief nach ihm.
    Linda sah ihn davongehen, einen großen Mann, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, der mit vorsichtigen Schritten über Wasserschläuche und zwischen die zusammengestürzten rauchenden Trümmer trat, die noch vor kurzem eine Tierhandlung gewesen waren.
    Sie betrachtete eine verweinte junge Frau, die auf den Brand starrte. Die Besitzerin, dachte sie. Oder nur eine Tierfreundin? Linda erinnerte sich an ein kleines Holzhaus, das abbrannte, als sie klein war. Es war an einem Sonntagmorgen gewesen, im Haus war ein Uhrengeschäft, und sie erinnerte sich, wie leid ihr all die Uhren getan hatten, deren Herzen und Zeiger und Uhrwerke schmolzen und starben. Sie bewegte sich vor der Absperrung auf und ab. Viele standen schweigend da und schauten zu. Brennende Häuser wecken immer Entsetzen, dachte sie. Ein brennendes Haus ist immer eine Mahnung, daß auch die eigene Wohnung in Flammen aufgehen kann.
    »Ich begreife nicht, warum sie mich nicht fragen«, hörte Linda jemanden sagen.
    Sie blickte sich um. Eine junge Frau um die Zwanzig stand mit einer Freundin an eine Hauswand gedrückt. Rauchschwaden zogen vorüber, und die Frauen rückten dichter zusammen.
    »Sag ihnen doch einfach, was du gesehen hast«, sagte die Freundin.
    »Ich dränge mich der Polizei doch nicht auf.«
    Die Zeugin, dachte Linda. Die sie haben laufenlassen.
    Sie trat einen Schritt näher. »Was hast du denn gesehen?« fragte sie.
    Die junge Frau sah sie prüfend an. Linda sah, daß sie schielte.
    »Wer bist du

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