Vor dem Frost
war, tauschten Linda und ihr Vater einen raschen Blick.
Hinterher, als das Gespräch beendet und Anna nach Hause gegangen war, setzte Linda sich in der Mariagata an den Küchentisch und versuchte den Gang des Gesprächs niederzuschreiben, wie in Form eines Theaterdialogs. Ihr Vater hatte einen Block vor sich gehabt und dann und wann etwas notiert, aber das meiste hatte er im Kopf gesammelt. Vor ein paar Jahren hatte er ihr einmal erzählt, daß es als eine schlechte Angewohnheit begonnen habe, eine Schlampigkeit, die sich nicht abschütteln ließ, daß er sich nie Notizen machte, außer es war absolut notwendig. Aber die schlechte Angewohnheit war eine Gewohnheit geworden; er hatte jetzt gelernt, welche Stichworte er während eines Gesprächs notieren mußte, um sich hinterher genau erinnern zu können. Dies betraf natürlich nur die informellen Gespräche, nicht die regelrechten Verhöre, bei denen stets ein Tonband mitlief, mit den Zeitangaben, wann ein Verhör begann und endete.
Was hatte Anna gesagt? Linda schrieb, der Dialog nahm langsam Form an.
KW: Danke, daß du gekommen bist. Ich bin natürlich froh, daß nichts passiert ist. Linda hat sich Sorgen gemacht. Ich mir auch.
AW: Ich brauche nicht zu erzählen, wen ich auf einer Straße in Malmö gesehen zu haben glaubte.
KW: Nein, das brauchst du nicht. Möchtest du etwas zu trinken haben?
AW: Orangensaft.
KW: Den haben wir leider nicht. Kaffee, Tee oder Leitungswasser.
AW: Dann nichts.
Ruhig und methodisch, dachte Linda. Jede Menge Zeit.
KW: Wieviel weißt du von dem, was Birgitta Medberg passiert ist?
AW: Linda hat erzählt, daß sie ermordet worden ist. Schrecklich. Unfaßbar. Ich weiß auch, daß Sie ihren Namen in meinem Tagebuch gefunden haben.
KW: Nicht wir haben ihn gefunden. Linda hat ihn entdeckt, als sie zu verstehen versuchte, was mit dir geschehen war.
AW: Ich mag es nicht, wenn jemand in meinem Tagebuch liest.
KW: Das kann ich verstehen. Aber Birgitta Medbergs Name stand da, nicht wahr?
AW: Ja.
KW: Wir versuchen, uns von allen ihren Kontakten und den Menschen in ihrer Umgebung ein Bild zu machen. Ein Gespräch, wie ich es gerade mit dir führe, führen meine Kollegen in anderen Zimmern mit anderen Menschen.
AW: Wir haben gemeinsam zwei norwegische Fjordpferde geritten. Die Pferde gehören einem Mann namens Jörlander. Er wohnt auf einem abgeteilten Hof in der Nähe von Charlottenlund. Er war früher Jongleur. Er hat steife Beine und kann nicht reiten. Wir haben für ihn die Pferde bewegt.
KW: Wann hast du Birgitta Medberg kennengelernt?
AW: Vor sieben Jahren und drei Monaten.
KW: Wieso weißt du das so genau?
AW: Weil ich nachgedacht habe. Ich habe mir gedacht, daß Sie danach fragen würden.
KW: Wie habt ihr euch getroffen?
AW: Auf dem Rücken der Pferde, könnte man sagen. Sie hatte irgendwo gehört, daß Jörlander Reiter suchte, die seine Pferde bewegten, und ich habe es woanders gehört. Wir ritten dreimal die Woche, ab und zu zweimal. Wir redeten über Pferde, fast über nichts anderes.
KW: Ihr habt sonst keinen Kontakt gehabt?
AW: Ehrlich gesagt fand ich sie ziemlich langweilig. Bis auf die Schmetterlinge.
KW: Wie meinst du das?
AW: Eines Tages beim Reiten kamen wir darauf, daß wir beide eine Leidenschaft für Schmetterlinge hatten. Da hatten wir etwas, worüber wir reden konnten.
KW: Hat sie jemals davon gesprochen, daß sie vor etwas Angst habe?
AW: Sie hatte jedesmal Angst, wenn wir mit den Pferden eine befahrene Straße überqueren mußten.
KW: Und davon abgesehen?
AW: Nein.
KW: War sie jemals in Begleitung?
AW: Nein, sie kam immer allein auf ihrer alten Vespa.
KW: Ihr hattet also sonst keinen Kontakt?
AW: Nein. Nur daß sie mir einmal einen Brief geschrieben hat. Sonst nichts.
Eine kleine Erschütterung, dachte Linda, während sie schrieb. Wie ein Erdbeben, das man eigentlich nicht bemerkt. Aber hier geriet sie ins Straucheln. Sie verheimlicht etwas, was ihr Verhältnis zu Birgitta Medberg betrifft. Aber was? Sie mußte wieder an die Waldhütte denken und merkte, wie ihr der Schweiß ausbrach.
KW: Wann hast du Birgitta Medberg zum letztenmal getroffen?
AW: Vor zwei Wochen.
KW: Und was habt ihr da gemacht?
AW: Herrgott, wir sind geritten! Wie oft soll ich das noch wiederholen?
KW: Öfter nicht. Ich will nur sichergehen, daß alles richtig ist. Was war übrigens, während du in Malmö warst und nach deinem Vater suchtest?
AW: Inwiefern?
KW: Wer ritt dein Pferd? Wer ritt Birgitta Medbergs
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