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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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fuhr zusammen und drehte sich um. Teile des Kirchendachs stürzten ein. Der Funkenregen stieg zum Nachthimmel auf. Wer steckt Kirchen an? dachte sie. Sie konnte darauf ebensowenig eine Antwort geben wie auf die Frage, warum Menschen Schwäne oder Tiere in einer Zoohandlung in Brand steckten.
    Sie kehrte zum Wagen zurück und fuhr nach Frennestad. Auch dort sah sie schon von weitem die brennende Kirche. Brennende Kirchen sieht man nur im Krieg, dachte sie. Aber hier brennen die Kirchen mitten in einem friedlichen Land in einem ebenso friedlichen September. Kann ein Land von einem Feind okkupiert werden, den man nicht sieht? Sie vermochte ihren unklaren Gedanken nicht zu Ende zu denken.
    Der Weg zur Kirche war von geparkten Wagen blockiert. Als sie im Licht des Feuers ihren Vater sah, blieb sie stehen. Er sprach mit einem Feuerwehrmann. Sie versuchte zu erkennen, was er in der Hand hielt. Einen Wasserschlauch? Sie ging näher heran, drängte sich zwischen den Menschen vor der Absperrung nach vorn. Es war ein Tau. Eine Trosse.
    Neben ihr stand ein Mann und sprach erregt in ein Mobiltelefon. Sie hörte zu. Er beschrieb einer Person, die schlaftrunken zu sein schien, was gerade passierte. Linda lauschte besonders intensiv, als sie hörte, daß er von einer Toten in der Kirche sprach.
Eine Frau. Aus Trosa. Aber nur vielleicht. Warum sie aus Trosa ist? Wie soll ich das wissen? Jemand hat gehört, daß einer der Polizeibeamten telefonierte und eine Nachforschung angekurbelt hat. Harriet aus Trosa.
Das Gespräch brach ab.
    »Ist jemand umgekommen?« fragte Linda.
    Sie wußte, daß es zwei Gelegenheiten gibt, bei denen ein Schwede mit seiner Gewohnheit bricht, seiner Umgebung reserviert zu begegnen. Entweder wenn ein Schneesturm eine Großstadt lahmgelegt hat oder wenn es ein Unglück gegeben hat.
    »Es hat anscheinend eine Tote am Altar gelegen«, sagte der Mann.
    »Aus Trosa?«
    »Das ist das, was ich gehört habe. Aber es kann ja falsch sein. Obwohl, wenn man mitten in der Nacht tot in einer Kirche liegt, dann ist man umgebracht worden. Es kann natürlich auch Selbstmord sein. Die Leute sind ja so komisch heutzutage.«
    Linda kam sich auf einmal wie eine Hyäne vor, eine Voyeurin, die sich am Elend anderer ergötzt.
    Nyberg ging hinauf zur Kirche. Er sah wie gewöhnlich grimmig und gereizt aus. Aber Wallander wie Martinsson hatten großen Respekt vor seinem fachlichen Können. Nyberg würde bald in Pension gehen. Vor allem Martinsson fürchtete, daß sie nie einen Nachfolger mit ähnlichen Qualifikationen und ähnlicher Geduld finden würden.
    »Ihr solltet euch das hier einmal ansehen«, sagte Nyberg und streckte eine Hand vor.
    Darin lag eine kleine Halskette. Wallander suchte seine Brille. Als er sie aufsetzen wollte, ging ein Bügel ab. Er fluchte und hielt die Brille vor die Augen. »Sieht aus wie ein Schuh«, sagte er. »Ein Anhänger in Form eines Schuhs.«
    »Sie trug die Kette um den Hals«, sagte Nyberg. »Als das Tau festgezogen wurde, muß der Verschluß aufgegangen sein. Die Kette lag in ihrer Bluse. Der Arzt hat sie gefunden.«
    Martinsson hatte die Kette in die Hand genommen und drehte sich zum Licht des Feuers. »Seltsames Motiv für einen Anhänger. Es sieht wirklich aus wie ein Schuh.«
    »Es kann eine Fußspur sein«, schlug Nyberg vor. »Oder eine Fußsohle. Ich habe mal einen Anhänger in Form einer Möhre gesehen. Mit einem Diamanten in dem Teil, der das Kraut vorstellte. Schmuck kann die sonderbarsten Motive haben. Diese Möhre war vierhunderttausend Kronen wert.«
    »Es kann uns helfen, die Tote zu identifizieren«, sagte Kurt Wallander. »Das ist im Augenblick das wichtigste.«
    Nyberg verschwand zu einer Ecke der Friedhofsmauer und begann sofort, mit einem Fotografen zu streiten, der Bilder von der brennenden Kirche machte. Wallander und Martinsson gingen zu den Absperrbändern.
    Sie sahen Linda und winkten sie zu sich. »Du konntest dich also nicht fernhalten«, sagte ihr Vater. »Komm mit uns, wo du schon da bist.«
    »Wie geht es?« fragte Linda.
    »Wir wissen nicht, wonach wir suchen sollen«, sagte Kurt Wallander langsam. »Aber keine dieser beiden Kirchen hat von selbst angefangen zu brennen.«
    »Sie durchsuchen jetzt alle Register nach dieser Harriet Bolson«, sagte Martinsson. »Sobald etwas auftaucht, melden sie sich direkt bei mir.«
    »Ich versuche, das mit dem Tau zu verstehen«, sagte Wallander. »Und warum in einer Kirche, und eine Amerikanerin? Was bedeutet das?«
    »Eine Anzahl

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