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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Menschen, mindestens drei, aber wahrscheinlich mehr, kommen nachts in eine Kirche«, sagte Martinsson.
    Kurt Wallander stoppte ihn. »Warum mehr als drei? Zwei, die morden, und einer, der ermordet wird. Reicht das nicht?«
    »Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher. Deshalb denke ich, daß es mindestens drei sind. Aber es können mehr sein, sogar viel mehr. Sie haben die Tür mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Es existieren nur zwei Schlüssel, einer ist auf dem Pfarrhof, und den zweiten hat der Küster, der in Ohnmacht gefallen ist. Beide Schlüssel sind an ihrem Platz. Also hat jemand einen raffinierten Dietrich oder eine Dublette benutzt«, sagte Martinsson. »Eine Gesellschaft«, fuhr er fort, »die diese Kirche zum Hinrichtungsplatz für eine Frau namens Harriet Bolson ausgewählt hat. Hat sie sich irgendeiner Sache schuldig gemacht? Ist sie ein religiöses Opfer? Sind es Satanisten oder andere Verrückte, mit denen wir es zu tun haben? Darauf können wir keine Antwort geben.«
    »Noch eins«, sagte Wallander. »Der Zettel mit ihrem Namen, den ich gefunden habe. Warum war alles andere weg, aber der nicht?«
    »Vielleicht, damit wir sie leicht identifizieren können. Es ist eine Mitteilung an uns.«
    »Wir müssen ihre Identität bestätigen«, sagte Kurt Wallander. »Wenn sie auch nur einen Zahnarzt hier im Lande besucht hat, dann kriegen wir raus, wer sie ist.«
    »Wir sind schon dabei.«
    Kurt Wallander hörte, daß Martinsson gekränkt war. »Ich wollte dir nicht auf die Zehen treten. Was sagt die Umwelt?«
    »Bisher nichts.«
    »Und die Priorität gilt?«
    »Ich habe Stockholm um Hilfe gebeten. Sie haben da oben ein richtig giftiges Ekel sitzen, der Kollegen weltweit in Angst und Schrecken versetzen kann.«
    »Wer denn?«
    »Hast du noch nichts von Tobias Hjalmarsson gehört?«
    »Vielleicht. Hauptsache, er sieht ein, daß er jetzt richtig giftig sein muß.«
    »Hoffen wir's«, sagte Martinsson. »Und das nächste: Wer hat jemals einen Kettenanhänger in Form eines Schuhs gesehen? Oder einer Sandale?«
    Er schüttelte den Kopf und ging davon.
    Linda stockte der Atem. Hatte sie richtig gehört? »Was hat er gesagt? Was habt ihr gefunden?«
    »Einen Zettel mit ihrem Namen und ihrer Anschrift.«
    »Nicht das. Etwas anderes.«
    »Eine Halskette mit Anhänger.«
    »Und der glich etwas?«
    »Einer Fußspur.«
    »Das hat er nicht gesagt. Er hat was anderes gesagt.«
    »Einem Schuh. Wieso fragst du?«
    Sie überhörte seine Frage. »Was für ein Schuh?«
    »Eine Sandale vielleicht.«
    Dann und wann, wenn eine Windbö vorüberzog, schlugen die Flammen hoch und erleuchteten die Brandstätte.
    »Ich möchte dich nur daran erinnern, daß Annas Vater Sandalen angefertigt hat, bevor er verschwand. Das ist alles.«
    Er brauchte einen Moment, um zu verstehen. Er nickte langsam. »Gut«, sagte er. »Sehr gut. Das kann vielleicht der Durchbruch sein, den wir so dringend benötigen. Die Frage ist nur, wohin er uns führt.«
    Kurt Wallander hatte versucht, Linda nach Hause zu schicken, um zu schlafen. Doch sie hatte darauf bestanden, dazubleiben. Sie hatte zwei Stunden auf der Rückbank eines Polizeiwagens geschlafen und erwachte im Morgengrauen davon, daß er an die Scheibe klopfte. Er hat es nie gelernt, einen Menschen behutsam zu wecken, dachte sie. Er klopft zu fest ans Fenster oder schüttelt eine Schulter viel zu heftig. Mein Vater weckt Menschen nicht. Mein Vater reißt sie mit einem Ruck aus ihren Träumen.
    Sie stieg aus und erschauerte fröstelnd. Es war kühl. Zerfetzte Nebelschwaden zogen über die Felder. Die Kirche war jetzt ausgebrannt, nur die nackten rußigen Wände standen noch. Von dem eingestürzten Dach stieg immer noch dicker, quellender Rauch auf. Schweigend standen die Menschen da und betrachteten das, was von ihrer Kirche übriggeblieben war. Linda sah einen alten Mann, der mit langsamen Bewegungen Ruß von einem Grabstein auf dem Friedhof wischte. Sie dachte, daß sie dieses Bild nie vergessen würde. Die meisten Feuerwehrwagen waren abgefahren, nur eine kleine Gruppe war noch da und bewachte die Brandstätte. Martinsson war nicht da. Dagegen war Stefan Lindman gekommen. Er reichte ihr einen Pappbecher mit Kaffee. Ihr Vater sprach vor der Absperrung mit einem Journalisten.

»Diese Landschaft gleicht nichts von dem, was ich bisher gesehen habe«, sagte Stefan Lindman. »Nicht Västergötland, nicht Härjedalen. Hier ist es, als endete Schweden, als fiele es einfach zum Meer hin ab und verschwände. Und

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