Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
des Johannes«, sagte Nyberg.
    »Ich kenn mich mit der Bibel nicht aus. Sag schon, was du komisch findest.«
    Nyberg verzog das Gesicht, ließ sich aber nicht dazu verleiten, Streit anzufangen. »Wer kennt schon die Bibel? Aber die Offenbarung des Johannes ist ein wichtiges Kapitel, oder wie das heißt.«
    Und mit einem schnellen Blick zu Linda. »Weißt du das? Sagt man Kapitel?«
    Linda erschrak. »Keine Ahnung.«
    »Da siehst du es. Auch die Jugend weiß es nicht. Aber egal, auf jeden Fall hat sich jemand hingesetzt und sich zwischen den Zeilen zu schaffen gemacht. Siehst du?«
    Nyberg zeigte es ihm. Kurt Wallander führte das Buch dichter an die Augen. »Ich sehe etwas zwischen den Zeilen, was wie graue Flusen aussieht. Was steht denn da?«
    Nyberg rief nach einem Mitarbeiter mit Namen Rosen. Ein bis zu den Hüften mit Erde verschmutzter Mann kam mit einem Vergrößerungsglas herbeigestapft.
    Wallander versuchte es von neuem. »Jemand hat etwas zwischen die Zeilen geschrieben. Was steht da?«
    »Ich habe zwei Zeilen entziffert«, sagte Nyberg. »Es sieht so aus, als sei derjenige, der es geschrieben hat, nicht zufrieden gewesen mit dem gedruckten Text. Es scheint sich um jemanden zu handeln, der das Wort Gottes verbessern wollte.«
    Kurt Wallander nahm die Brille ab. »Was soll das heißen? ›Das Wort Gottes‹? Kannst du dich nicht verständlich ausdrücken?«
    »Ich dachte, die Bibel sei das Wort Gottes. Wie soll ich es denn sonst sagen? Aber ich finde es interessant, daß jemand sich hinsetzt und den Text der Bibel umschreibt. Tut ein normaler Mensch so was? Wenn er oder sie noch alle fünf Sinne beisammen hat?«
    »Ein Verrückter also. Was ist diese Hütte eigentlich? Wohnung oder Versteck?«
    Nyberg schüttelte den Kopf. »Zu früh, darauf zu antworten. Aber sind Verstecke und Wohnungen nicht dasselbe für Leute, die sich zurückziehen?«
    Er machte eine Armbewegung zum Wald hin, der schwarz hinter den Scheinwerfern aufragte.
    »Die Hunde haben das Gelände durchsucht. Sie sind noch draußen. Die Hundeführer sagen, es sei nahezu undurchdringliches Terrain. Wenn man sich hier in der Gegend verstecken will, findet man keinen besseren Ort.«
    »Könnt ihr schon was über die Person sagen?«
    Nyberg schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Kleidung gefunden. Nichts Persönliches. Wir können nicht einmal sagen, ob die Person, die sich hier aufgehalten hat, ein Mann oder eine Frau war.«
    Im Dunkeln schlug ein Hund an. Nieselregen setzte ein. Ann-Britt Höglund, Martinsson und Svartman kamen aus verschiedenen Richtungen und sammelten sich um Wallander. Linda blieb im Hintergrund, genau auf der Grenze zwischen Beteiligter und Zuschauerin.
    »Gebt mir eure Einschätzung«, sagte ihr Vater. »Was ist hier geschehen? Wir wissen, daß ein widerwärtiger Mord stattgefunden hat. Aber warum? Wer kann der Täter sein? Warum kommt sie her? Hatte sie eine Verabredung? Ist sie hier getötet worden? Wo ist der übrige Körper? Gebt mir ein Bild.«
    Der Regen tropfte. Nyberg nieste. Einer der Scheinwerfer gab den Geist auf. Nyberg trat vor Wut das Stativ um und stellte es dann wieder auf.
    »Ein Bild«, wiederholte Kurt Wallander.
    »Ich habe schon manches Widerwärtige gesehen«, sagte Martinsson. »Aber so was wie das hier noch nicht. Es muß ein total Irrer gewesen sein, der das hier getan hat. Aber wo ist der Rest der Leiche? Wer hat diese Hütte benutzt? Wir wissen nichts.«
    »Nyberg hat eine Bibel gefunden«, sagte Kurt Wallander. »Wir nehmen Fingerabdrücke von allem, was wir finden. Jemand hat neue Texte zwischen die Zeilen in dem Buch geschrieben. Was hat das zu bedeuten? Wir müssen untersuchen, ob die Familie Tademan je hierherkommt. Wir müssen von Haus zu Haus gehen. Auf breiter Front, ohne Pause.«
    Keiner sagte etwas.
    »Wir müssen den, der das hier getan hat, fassen, und zwar so schnell wie möglich«, sagte Wallander. »Ich weiß nicht, was das hier bedeutet. Aber es macht mir angst.«
    Linda trat ins Licht. Es war, wie eine Bühne zu betreten, ohne sich vorbereitet zu haben. »Ich habe auch Angst.«
    Nasse und müde Gesichter umgaben sie. Nur ihr Vater sah angespannt aus. Er wird wahnsinnig, dachte Linda. Aber der Schritt, den sie tat, war notwendig.
    »Ich habe auch Angst«, sagte sie und berichtete von Anna. Dabei vermied sie es, ihren Vater anzusehen. Sie versuchte, sich an alle Einzelheiten zu erinnern, ihre intuitive Furcht zu unterdrücken, nur das zu erzählen, was sie wußte, und die

Weitere Kostenlose Bücher