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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Schlußfolgerungen von allein kommen zu lassen.
    »Wir werden das natürlich untersuchen«, sagte ihr Vater, nachdem sie geendet hatte. Seine Stimme war eisig.
    In dem Moment bereute Linda, was sie getan hatte. Das wollte ich nicht, dachte sie. Ich tue es nur für Anna, nicht, um dich zu provozieren.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich gehe jetzt nach Hause. Ich habe hier ja nichts zu suchen.«
    »Warst du es nicht, die die Vespa gefunden hat?« fragte Martinsson.
    Ihr Vater nickte. Dann wandte er sich an Nyberg. »Hast du jemanden, der Linda zum Wagen leuchten kann?«
    »Ich tue es selbst«, antwortete Nyberg. »Ich muß aufs Klo.
    Ich kann ja nicht hier in den Wald scheißen und die empfindlichen Nasen der Hunde verwirren.«
    Linda kletterte aus der Schlucht nach oben. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig und müde sie war. Nyberg leuchtete ihr auf dem Pfad. Sie begegneten einem Hundeführer und einem Hund mit hängendem Schwanz. Lichter bewegten sich zwischen den Bäumen. Orientierungslauf bei Nacht, dachte Linda. Polizisten, die zwischen den Schatten jagen. Nyberg murmelte etwas Unverständliches, als sie den Parkplatz erreichten. Dann war er weg. Ein Blitzlicht flammte im Dunkeln auf. Linda sah ein paar Ordnungspolizisten an den Absperrungen. Sie stieg ins Auto, jemand hob das Plastikband, und sie war draußen auf der Landstraße. Es waren Schaulustige da, geparkte Wagen, Menschen, die darauf warteten, daß etwas passierte. Sie spürte, daß sie ihre unsichtbare Uniform wieder übergestreift hatte. Weg hier, dachte sie. Hier ist ein schweres Verbrechen begangen worden. Niemand darf unsere Arbeit stören. Sie verlor sich in einen Tagtraum.
    An der Polizeihochschule hatten sie sich Filmpolizisten genannt. Sie erinnerte sich an lange Abende mit Wein und Bier und an die Spiele von der Zukunft, die sich hauptsächlich darum drehen würde, mit Pennern zu rangeln und junge Taschendiebe zur Vernunft zu bringen. Aber alle Berufe haben ihre Träume, hatte sie gedacht. So mußte es sein. Ärzte, die Menschen nach einem schweren Unfall das Leben retteten. Blutige Arztkittel, unschlagbare Helden. Und genauso wir, junge Spunde, die bald hinaus sollen und Uniform tragen. Die Schnellen und Harten, die Starken und Unschlagbaren.
    Sie schüttelte die Gedanken ab. Noch war sie keine Polizistin.
    Sie fuhr zu schnell und bremste ab. In dem Augenblick lief ein Hase über die Straße. Einen kurzen Augenblick hielt das Scheinwerferlicht die Augen des Tiers fest. Sie bremste scharf. Der Hase flitzte davon, und sie fuhr weiter. Ihr Herz hämmerte. Sie atmete tief durch. Die Lichter der Autos auf der Hauptstraße kamen näher. Sie fuhr auf einen Parkplatz, löschte das Licht und machte den Motor aus. Um sie herum Dunkelheit. Sie griff nach ihrem Handy. Bevor sie wählen konnte, klingelte es.
    Es war ihr Vater. Er war in Rage. »Wie kommst du dazu, mir vorzuwerfen, ich täte meine Arbeit nicht ordentlich?«
    »Ich habe dir nichts vorgeworfen«, sagte sie. »Ich fürchte nur, daß Anna etwas passiert ist.«
    »Das tust du kein zweites Mal. Nie wieder. Sonst sorge ich persönlich dafür, daß deine Zeit hier in Ystad kurz wird.«
    Sie kam nicht dazu, zu antworten. Er hatte das Gespräch schon abgebrochen. Er hat recht, sagte sie sich. Ich hätte mich beherrschen sollen. Sie wählte seine Nummer, um sich zu entschuldigen oder zumindest eine Erklärung zu geben. Doch dann ließ sie es bleiben. Sein Zorn war noch nicht verraucht. Erst in ein paar Stunden würde er ihr vielleicht zuhören.
    Sie fühlte, daß sie mit jemandem reden mußte, und wählte die Nummer von Zebra. Besetztzeichen. Sie zählte langsam bis fünfzig und rief wieder an. Immer noch besetzt. Ohne eigentlich zu wissen, warum, wählte sie Annas Nummer. Besetzt. Sie zuckte zusammen. Versuchte es erneut. Immer noch besetzt. Freude erfüllte sie. Anna war zurückgekommen! Sie ließ den Motor an, schaltete das Licht ein und fuhr auf die Straße zurück. Guter Gott, dachte sie. Ich werde ihr erzählen, was passiert ist, nur weil sie unsere Verabredung nicht eingehalten hat.
    Linda stieg aus und sah zu Annas Fenstern hinauf. Sie waren dunkel. Ihre Angst kehrte zurück. Das Telefon war besetzt gewesen. Linda rief Zebra an, die so schnell abnahm, als habe sie neben dem Telefon gestanden und auf das Klingeln gewartet.
    Linda hatte es eilig, sie verhaspelte sich. »Ich bin es. Hast du eben mit Anna telefoniert?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    »Ich weiß doch wohl, mit wem ich telefoniert habe. Hast

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