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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wir?«
    »Wir machen noch eine Runde.«
    Diesmal betrachtete sie das Haus mit größerer Aufmerksamkeit, als sei sie selbst eine kauflustige Spekulantin und ihr Vater der Makler. Sie schnüffelte herum wie ein Tier, das Witterung aufnahm. »Was kostet dieses Haus?«
    »Vierhunderttausend.«
    Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Wirklich«, sagte er.
    »Hast du so viel Geld?«
    »Nein. Aber die Bank hat versprochen, mir ihre Pforten zu öffnen. Ich bin vertrauenswürdig. Ein Polizeibeamter, der sein Leben lang seine Finanzen ordentlich geführt hat. Eigentlich macht es mich ein bißchen traurig, daß mir dieses Haus nicht richtig gefällt. Ein leeres Haus ist genauso bedrückend wie ein verlassener Mensch.«
    Sie fuhren weiter. Linda las einen Wegweiser, an dem sie vorüberkamen: »Mossby Strand«.
    Er warf ihr einen Blick zu. »Willst du hinfahren?«
    »Ja. Wenn du Zeit hast.«
    Ein einsamer Wohnwagen stand auf dem Parkplatz am Strand. Der Kiosk war geschlossen. Ein Mann und eine Frau, die deutsch miteinander sprachen, saßen auf kaputten Plastikstühlen vor dem Wohnwagen. Zwischen ihnen stand ein Tisch. Sie spielten Karten und waren hoch konzentriert. Linda und Kurt Wallander gingen zum Strand hinunter.
    Genau an diesem Strand hatte sie ihm vor einigen Jahren ihren Entschluß mitgeteilt. Sie wollte nicht mehr Möbelpolsterin werden, und auch in den vagen Traum, vielleicht Schauspielerin zu werden, hatte sie kein rechtes Vertrauen mehr. Sie hatte aufgehört, rastlos in der Welt umherzureisen. Es war lange her, daß sie mit einem Jungen aus Kenia zusammengewesen war, der in Lund Medizin studierte und ihre größte Liebe war, auch wenn die Erinnerung daran in den letzten Jahren verblaßt war. Jetzt war er in seine Heimat zurückgefahren, und sie war ihm nicht gefolgt. Linda hatte versucht, die Leitlinien für ihr Leben zu finden, indem sie das Leben ihrer Mutter Mona betrachtete. Doch sie hatte nur eine Frau gesehen, die immer alles halb machte und dann liegenließ. Mona hatte zwei Kinder haben wollen, aber nur eins bekommen, und sie hatte geglaubt, daß Kurt Wallander die einzige und große Liebe ihres Lebens sei. Aber sie ließ sich scheiden und lebte jetzt in zweiter Ehe mit einem golfspielenden, aus Gesundheitsgründen vorzeitig pensionierten Prokuristen in Malmö.
    Linda hatte daraufhin mit neuerwachter Neugier angefangen, ihren Vater zu betrachten, den Kriminalbeamten, der immer vergaß, sie am Flugplatz abzuholen, wenn sie zu Besuch kam. Sie hatte ihm insgeheim sogar einen Namen gegeben: der Mann, der immer vergißt, daß es mich gibt. Aber sie spürte, daß er derjenige war, jetzt, da ihr Großvater nicht mehr lebte, der ihr am nächsten stand. Es war, als ob sie das Fernglas umdrehte, ihn an einen Ort versetzte, wo es ihn weiterhin gab, er aber nicht zu nahe war. Eines Morgens, als sie nach dem Aufwachen noch ein wenig liegen blieb, wurde ihr auf einmal klar, was sie mit ihrem Leben machen wollte: Sie wollte wie er sein, zur Polizei gehen. Ein Jahr lang hatte sie den Gedanken für sich behalten und nur mit ihrem damaligen Freund darüber gesprochen, aber nachdem sie selbst überzeugt war, hatte sie als erstes mit ihrem Freund Schluß gemacht und war anschließend nach Schonen hinuntergefahren, hatte ihren Vater mit an diesen Strand genommen und es ihm gesagt. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie erstaunt er gewesen war. Er hatte darum gebeten, eine Minute überlegen zu dürfen, was er von ihrem Entschluß hielt. Da war sie auf einmal unsicher geworden. Vorher hatte sie gedacht, er würde sich über ihre Entscheidung freuen. In dieser kurzen Minute, als er ihr seinen breiten Rücken zuwandte und der Wind sein schütteres Haar hochwehte wie eine Tüte, hatte sie sich darauf vorbereitet, daß sie streiten würden. Aber als er sich umwandte und lächelte, wußte sie Bescheid.
    Sie gingen bis ans Wasser. Linda zog mit dem Fuß die Spur eines Pferdehufs nach. Kurt Wallander beobachtete eine Möwe, die unbeweglich in der Luft über seinem Kopf stand.
    »Was denkst du?« fragte sie.
    »Worüber? Über das Haus?«
    »Darüber, daß ich bald in Uniform vor dir auftreten werde.«
    »Es fällt mir schwer, mir das richtig vorzustellen. Einzusehen, daß ich wohl aufgeregt sein werde.«
    »Warum aufgeregt?«
    »Vielleicht weil ich weiß, wie du dich fühlen wirst. In eine Uniform zu steigen ist nicht schwer. Aber sich dann öffentlich darin zu zeigen, das ist schwer. Du merkst, daß alle dich sehen. Du bist die

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