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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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erschossen worden.
    Zufall?
    Wohl kaum.

54
    Langsam fuhr Julien in seinem schwarzen Golf GTI den spärlich erleuchteten Jabiru Crescent entlang, im CD-Spieler Café del Mar, und sein Blick huschte nervös nach rechts und links. Den wilden Ausläufern Darwins hatte er nie viel abgewinnen können; weder für Mangroven noch für die dortige Tierwelt hatte er etwas übrig. Ja, er war in Kakadu und Litchfield und so weiter gewesen, aber er wurde nervös, sobald Beton, Glas und das beruhigende Summen der Espressomaschine nicht mehr in der Nähe waren. Er genoss die Natur in Form von Kunst, geschmackvoll gerahmt, gebührend bewundert und nach Möglichkeit zu exorbitanten Preisen von Eurowesen käuflich erstanden.
    Gestern Abend war er wie abgesprochen bei Dusty gewesen.
    Die Hunde waren hibbelig, im Haus lag ein komischer Geruch, und Dusty wirkte irgendwie nicht recht bei der Sache. Und statt des versprochenen selbst gekochten Abendessens gab es Pizza vom Lieferservice.
    Sie hatten sie auf dem Balkon gegessen und dazu Bier aus der Flasche getrunken. Juliens wiederholte Versuche, Konversation zu machen, waren erfolglos geblieben.
    »Du bist echt komisch drauf heute«, hatte er schließlich gesagt.

    »Entschuldige, die Arbeit.«
    »Willst du’s mir sagen?«
    »Das darf ich leider nicht.«
    »Hey, du kennst mich doch. Ich bin die Diskretion in Person.«
    Dusty hatte ihm den Fall in groben Zügen geschildert, allerdings ohne irgendwelche Namen zu nennen.
    »Du musst noch mal in das Freudenhaus«, hatte er als gut gemeinten Rat von Tunte zu Schreckschraube konstatiert.
    »Das geht nicht.«
    »Wenn ich ›du‹ sage, meine ich damit dich und deine Polizeikollegen. Ihr müsst jemanden dort einschleusen.«
    »Ich habe dir bereits erklärt, dass außer mir niemand an diesem Fall arbeitet.«
    Julien hatte innegehalten, sich dann vorgebeugt und gesagt: »Vielleicht könnte ich für dich gehen?«
    Dusty hatte gekichert und damit zum ersten Mal an diesem Abend so etwas wie Unbeschwertheit gezeigt.
    »Was ist daran so lustig?«
    Aus dem Kichern wurde ein Wiehern.
    Und genau in diesem Augenblick hatte Julien beschlossen, er werde es ihr zeigen, und er, der schwule Mann, der Galerist, werde verdeckt bei Ruby’s ermitteln.
     
    Das Erste, was Julien auffiel, war das gedämpfte Licht. Geschmackvoll, fand er. Mit einem kurzen Blick auf die Wände - ein alter Kunsthändlerreflex - registrierte er das samtene Gemälde einer züchtigen, tahitianischen Schönen und ihr gegenüber das Poster einer Nackten mit derart riesigen und jeder Schwerkraft enthobenen Brüsten, dass man beinahe meinte, das Herstellerzeichen sehen zu können. Ein Tresen
aus lackiertem Bambus vor der Rückwand verlieh dem Raum eine Andeutung von tropischem Flair. Zwei kaum bekleidete Mädchen, beide Asiatinnen, saßen auf einem Sofa und blätterten in Zeitschriften. Eine Frau unterbrach das Gespräch mit ihnen und kam auf Julien zu. Asiatin. Mittleres Alter. Das Gesicht so hart, dass man Mangos damit schneiden hätte können.
    »Willkommen bei Ruby«, sagte sie in diesem von sämtlichen schlechten Imitatoren asiatischer Akzente so geschätzten Viel-gut-altes-Freund-Singsang. Wiel-komm-hen bei Ruh-bieh.
    Julien war in etlichen Saunas, S&M-Studios und Blasstationen gewesen, aber dies war sein erster Besuch in einem Hetero-Puff, und prompt ging seine gewohnte Leichtigkeit flöten.
    »Das find ich ja ganz toll, wie Sie den Raum hergerichtet haben«, sagte er leicht verunsichert.
    »Ser freunlich, danke«, bedankte sich Mamasan Ruby artig. »Du ser schöner Mann. Wollen Drink erst oder lieber Mädchen?«
    »Oh, ein Drink wäre ganz toll«, trällerte Julien, und es klang tausendmal schwuler als geplant. »Ein Mann ist schließlich kein Bumskamel«, schickte er rasch hinterher.
    Mamasan Ruby verschlug es das Lächeln. »Bitte, keine schlimmen Wörter bei Ruby.«
    Julien unterdrückte ein Grinsen. Ein Supermarkt des Fickens, aber wehe, man nannte die Ware beim Namen. Wenn schon sonst nichts dabei heraussprang, würde er zumindest ein paar erstklassige Geschichten zu erzählen haben. Er ging an die Bar. Dort saß eine einzige weitere Person mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Hocker. Ein
älterer Herr, zierlich, adrett, in Khakihose und kurzärmligem Hemd, das Haar getönt und akkurat gescheitelt.
    Julien setzte sich auf einen Hocker, und eine ältere Mamasan Ruby fragte: »Was kannst du wünschen?«
    »Bitte?«, erwiderte Julien, von dem unorthodoxen Satz leicht

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