Vor dem Regen - Roman
Observation zugebracht. Sie erinnerte sich noch gut daran, wenn auch nicht gerne - sie hatte sich mit den Plastics, so der allgemein gebräuchliche Ausdruck für die Bundespolizei, herumschlagen müssen, mit endlosen Runden Euchre-Spielen, und am Ende hatte es nicht einmal eine Festnahme gegeben: Die Übeltäter waren schlicht nicht aufgetaucht. Das Gebäude hatte sich mittlerweile erstaunlich gemausert und wusste nun mit freigelegtem Sandstein, Pastellfarben und gedämpfter Beleuchtung zu beeindrucken.
»Verzeihung, hatten Sie reserviert?«, erkundigte sich die Empfangschefin, als Dusty an ihrem Tischchen vorbeispazierte.
Sie war jung und hübsch, in Schwarz gekleidet und hatte
eine traumhaft helle Haut, die definitiv nicht vom Top End stammte.
»Reserviert?«, fragte Dusty leicht verdattert.
»So ist es, denn wir sind heute Abend ausgebucht.«
Dann bedachte sie Dusty mit einem abschätzenden Blick.
Es war nicht wirklich offensichtlich, aber Dusty erkannte einen abschätzenden Blick, wenn sie ihn sah. Nach Juliens E-Mail-Warnung hatte sie sich für das gelb-schwarze Scanlan & Theodore mit den überkreuzten Rückenträgern und dem flotten Röckchen entschieden.
Na gut, es war nicht mehr ganz neu, aber Scanlan blieb Scanlan, und einen abschätzenden Blick brauchte sie sich nicht gefallen zu lassen. Schon gar nicht in Darwin, wo man seit der Zeit, als die Stadt aus den Mangroven gehackt wurde, nur die Territorialkluft kannte - und das hieß im Grunde einfach, zieh an, worin du dich wohlfühlst. Was wurde nur aus ihrer Stadt!
»Auf Matthews«, sagte Dusty und bemühte sich, ihrer Stimme einen zuversichtlichen Ton zu verleihen. »Ein Tisch für zwei.«
Die Kleine strich mit dem exquisit manikürten Finger über die Liste, und Dusty hoffte inständigst, Julien möge reserviert haben. Sollte er das unterlassen haben, dann reichte das Englisch der Weißen mit Sicherheit nicht aus, ihre Demütigung in Worte zu fassen. Sie würde auf einen Aborigine-Ausdruck zurückgreifen müssen: Schand-Macher. Es wäre der größte anzunehmende Schand-Macher, die Mutter aller Schand-Macher.
Die Kleine lächelte und ließ Zähne aufblitzen, die ebenfalls nicht vom Top End stammten. »Ja, da haben wir es. Matthews. Für zwei. Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
Dusty entspannte sich. Julien, du wunderbarer Mann! Sie folgte der Kleinen auf die Terrasse und lächelte ihren Mit-Essern einvernehmlich zu.
»Das hier ist Ihr Tisch«, erklärte die Kleine.
Wenn es auch nicht der allerbeste Tisch im Restaurant war - der Tisch unter dem rot blühenden Flammenbaum mit dem unübersehbaren RESERVIERT-Schild dürfte noch begehrter gewesen sein -, so stand er doch direkt am Ufer und war schlicht zauberhaft.
Julien, du wunderbarer, wunderbarer Mann!
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«, fragte die Kleine, als Dusty sich gesetzt hatte.
»Etwas mit einem Hütchen«, erwiderte Dusty mit wachsendem Selbstvertrauen.
Die Kleine starrte sie verwirrt an.
»Von der Cocktailkarte?«, präzisierte Dusty, die sich nicht sicher war, ob sie eben gegen Klein Bleichgesicht gepunktet hatte oder im Gegenteil etwas derart Unerhörtes von sich gegeben hatte, dass es dem Personal noch auf Wochen zur Erheiterung dienen würde: »Und dann verlangt diese Frau doch allen Ernstes ›etwas mit einem Hütchen‹, als wenn sie persönlich in Sex and the City mitspielen würde.«
»Gerne«, erwiderte die Kleine und ließ noch einmal die nicht-territorialen Beißerchen aufblitzen.
Sie brachte die Karte, und Dusty bestellte einen Mango Mojito, wobei sie auf korrekte Aussprache achtete.
»Woher kommen Sie denn, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Dusty, die ihre Neugier inzwischen nicht mehr bezähmen konnte.
»Von hier natürlich.«
»Nein, ich meine ursprünglich.«
»Ich bin in Darwin geboren - aufgewachsen in Wangaru.«
Hier geboren! Mit diesen Zähnen. Und dieser Haut. Darwin war eindeutig im Umbruch begriffen. Ob aber zum Besseren, das blieb abzuwarten.
Dusty trank einen Schluck und dachte an die Zeit ihrer Ankunft in Darwin. Juni 1994. Als sie an jenem ersten Morgen aus dem Flugzeug und auf den klebrigen Asphalt stieg, hatte sie ein Tropenparadies erwartet - traumhaft weiße Strände, sanft sich wiegende Palmen, ein Meer, blauer als blau. Und sie hatte es nicht fassen können - alles war trocken und staubig und sah genauso aus wie in Südaustralien, gemalt in den gleichen gedämpften Farben. Und die Leute erst! Diese T-Shirts und Sandalen,
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