Vor dem Regen - Roman
nach dem Eisvogel schaute. Er war blau. Und hatte einen großen Schnabel.
»Wundervoll, oder?«, sagte Tomasz und drückte den Auslöser.
»Definitiv«, erwiderte Dusty und richtete den Feldstecher auf das andere Ufer des Billabongs. Dort war der Pflanzenwuchs ungleich dichter, und etliche entwurzelte Bäume ragten, die Stämme glatt und weiß, ins unbewegte Wasser.
Da drüben muss Jimmy die Leiche gesehen haben, überlegte Dusty. Oder es sich eingebildet haben. Im Grunde gab es nur einen Weg, der Sache auf den Grund zu gehen - sie würde sich nass machen müssen. Sie gab Tomasz den Feldstecher zurück.
»Schau, ein Kammblatthühnchen«, freute er sich.
Sie nahm einen Schluck Wasser aus der Flasche - inzwischen schon lauwarm - und rekapitulierte die Lage. Ja, der Billabong war wunderbar . Ja, Tomasz war ganz aus dem Häuschen angesichts der Vögel hier. Aber was zum Geier hatte sie hier verloren? Ein traumatisierter Kriegsveteran wollte eine Leiche gesehen haben. Eine Asiatin. Ein Taxifahrer und Exknacki hatte ein verschwundenes Mädchen erwähnt. Eine Asiatin. Und auf dieser Grundlage überlegte sie ernsthaft, in einen potenziell krokodilverseuchten Billabong zu steigen. Objektiv gesehen war das Irrsinn, aber die Intuition sagte ihr, dass es das Richtige sei. Und bis man ihr den McVeigh-Fall entzogen hatte, war sie schließlich die heißeste Ermittlerin der gesamten Northern Territory Police Force gewesen und hatte ihrer Intuition vertraut, bedingungslos vertraut. Welche Alternativen hatte sie? Sie konnte morgen bei Big C vorsprechen und sie überreden, ein Team hierher zu schicken, ein richtiges Team, mit Boot
und Tauchern und einer dicken Knarre, um jedes Krokodil, das sich womöglich zeigen sollte, in die Flucht zu schlagen; aber wenn ihr das gelänge und man bei der Aktion keine Leiche fand, was bedeutete das dann für sie?
Dusty beobachtete Tomasz beim Vogelbeobachten. Die Wolken hatten sich ungewöhnlich früh zusammengeballt, und der Himmel war eine riesige Kumulus-Decke. Die Sonne brannte zwar kaum noch, aber die Schwüle war grotesk. Tomasz hatte das T-Shirt ausgezogen und präsentierte seinen schweißnassen Oberkörper. Mit einem völlig durchnässten Handtuch wischte er sich unverdrossen die Stirn ab. Ungeachtet der kaum erträglichen äußeren Bedingungen ging er vollkommen in seiner Beschäftigung auf und arbeitete mit Feldstecher, Kamera und Notizblock ebenso zügig wie methodisch. Dusty hatte ein Nachschlagewerk aus seiner Tasche spitzen sehen - Die Vogelwelt des nördlichen Australiens -, das er allerdings nicht benutzte. Kannte er die Vögel ohnehin alle? Hatte er sie alle vollständig im Kopf?
Dusty war beeindruckt - in einer mistigen Welt, die täglich mistiger wurde, war es schön zu sehen, dass es noch Leute gab, die etwas ordentlich machten.
»Pass auf, dass du nicht austrocknest«, mahnte sie und gab ihm die Flasche.
»Danke«, sagte er und nahm einen kräftigen Schluck.
»Hör mal, ich geh kurz schwimmen.«
»Schwimmen? Aber die … die … Krokodile?«
»Nein, die gibt’s hier nicht, keine Sorge«, wiegelte Dusty ab und versuchte dabei, auch sich selbst zu überzeugen.
Sie hatte das Ufer nach Reptilienspuren abgesucht, aber die dichte Vegetation am anderen Ufer machte eine umfassende Inspektion unmöglich. Und sie dachte an Jimmys
Worte: »Ein Bosskrokodil, was Name heißt Sweetheart.« Stimmte schon, Jimmy hatte sie nicht mehr alle, und Sweetheart hing tot und ausgestopft als Hauptattraktion im Museum von Darwin, aber wirklich wissen konnte man schließlich nie. Vielleicht war der Sohn von Sweetheart gemeint.
»Ich komme mit«, entschied Tomasz.
»Nein, du tust schön weiter Vögel beobachten.«
»Ich komme mit«, beharrte er und legte das Beobachtungsgerät beiseite.
Dusty verzog sich hinter den Pick-up, um den Badeanzug anzuziehen. Sie musste über sich selbst lächeln - diese Schamhaftigkeit nach der gestrigen Liebesnacht. Als sie wieder zum Vorschein kam, stand Tomasz in Boxershorts da.
»Bereit?«, fragte sie und stieg in den moddrigen Schlamm.
»Ja«, erwiderte Tomasz und folgte ihr.
»Nur eine Kleinigkeit«, sagte Dusty, die schon bis zu den Knien im Wasser stand. »Es gibt hier keine Krokodile, aber wenn es welche gäbe und eins würde nach dir schnappen, dann musst du ihm in die Augen stechen. Alles klar? Immer auf die Augen«
Tomasz nickte.
»Gut, wir schwimmen zu dem Baum da«, sagte Dusty und zeigte hinüber.
Das Wasser war warm, zu warm, um erfrischend
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