Vor dem Regen - Roman
auch Tourist in einem fremden Land, und irgendwo da draußen lief ein Mörder herum - das Risiko war nicht zu vertreten.
Die Blitze wurden nun von gelegentlichen Donnerschlägen begleitet. »Wir sollten Fotos machen«, schlug Tomasz vor, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
Dusty wusste, was er meinte - die Fußabdrücke im Schlamm, die Reifenspuren, lauter wertvolle forensische Beweise, die unwiederbringlich verloren wären, wenn es regnete. Aber das war der Anlauf, der Build-Up, nur Getöse und nichts dahinter - es würde nicht regnen. Außerdem hatte Dusty es eilig, sie wollte die Tatortermittler so schnell wie möglich hier haben.
»Es wird nicht regnen«, erklärte sie. »Das lässt noch mindestens zwei Wochen auf sich warten.«
Zweifelnd sah Tomasz in den immer finsterer werdenden Himmel.
Dusty hielt die Tür von Beastie Boy auf. »Na los, Quadratkopf. Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen.«
25
Dusty saß am Steuer, und sie unterhielten sich.
Tomasz’ Englisch war nicht nur gut, es war hervorragend.
Er behauptete, das läge nur an den vielen Hollywoodfilmen, die er gesehen hatte, aber Dusty wusste, dass es mehr als ein paar Filme brauchte, um eine Sprache zu erlernen - wie alle guten Deutschen hatte er gewissenhaft gelernt.
»Erzähl mal, wie bist du eigentlich Konstabler geworden, Tomasz?«
In regelmäßigen Abständen streute sie ein paar Slang-Ausdrücke ein, damit er sich nicht zu sicher fühlte.
»Wie bin ich was?«
»Ein altmodischer Ausdruck - Polizist.«
Eine Frage, die unvermeidlich auftauchte, sobald zwei Polizisten sich trafen, ganz gleich aus welchem Land.
»Schwierig, das auf Englisch zu erklären.«
»Komm mir nicht damit.«
Tomasz legte ihr also dar, wie er Polizist geworden war. Seine Eltern waren aus Polen zugewandert, um ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. Tomasz hatte immer schon davon geträumt, zur Polizei zu gehen, aber er war den Wünschen seiner Eltern gefolgt und Ingenieur geworden. Nach dem Tod des Vaters war er in den Polizeidienst eingetreten. Seit mittlerweile drei Jahren war er bei der Spurensicherung.
»Und du?«, fragte Tomasz, als Dusty wieder auf den Highway einbog.
Sie war Wasserpolospielerin gewesen und hatte fest vorgehabt, Australien bei den Olympischen Spielen zu vertreten. Mit vierzehn kam sie zur Junioren-Nationalmannschaft. Aber sie machte keine Fortschritte. Sie trainierte und trainierte und trainierte, doch vergebens: Alle Mädchen, die sie bis dato mit schöner Regelmäßigkeit geschlagen hatte, ließen sie jetzt wortwörtlich hinter sich. Auf einmal war sie mit der Schule fertig und hatte keinen blassen Schimmer, was sie mit sich anstellen sollte. Sie hatte so viel ins Wasserpolo investiert, dass sie sich irrigerweise einbildete, es würde sich nun seinerseits um sie kümmern. Eine Freundin gab ihr den Tipp, es doch mal bei der Polizei zu versuchen. Und wieso auch nicht, sie hatte ja doch nichts Besseres zu tun. Beim medizinischen Test erwähnte sie beiläufig eine alte Knieverletzung. Das Schwein von Arzt wertete das als ernsten Hinderungsgrund; sie fiel durch. Da sie
nun aber wild entschlossen war, Polizistin zu werden, stellte sie im Northern Territory einen neuen Aufnahmeantrag, wobei sie jede Erwähnung von Verletzungen, sei es am Knie oder anderswo, geflissentlich unterließ, und seitdem tat sie hier Dienst.
Sie erzählte diese Geschichte seit Jahr und Tag, aber aus irgendeinem Grund wollte sie diesmal weitergehen und Tomasz die Wahrheit sagen.
»Willst du wissen, wieso ich wirklich Polizistin geworden bin?«, fragte sie.
Keine Antwort. Trotz Beastie Boys mörderischer Federung, der Enge und dem beißenden Geruch, einer Mischung aus abgestandenem Schweiß und fauligem Morast, war es Tomasz gelungen einzuschlafen. Wie er so zurückgelehnt dasaß, die Augen geschlossen, fand Dusty ihn richtig schön, engelhaft fast. Eine Woge der Zuneigung zu diesem Mann, den sie doch kaum kannte, überkam sie. Ich habe ihn gern, gestand sie sich ein. Das kam unerwartet. Er war ein Rucksacktourist, den sie nur aus einem Grund milatiert hatte, um Julien zu widerlegen. »Gernhaben« war da nicht eingeplant.
»Weißt du was, ich mag dich«, sagte sie zärtlich.
Wie aufregend das klang. Sie hatte unendlich lange nicht mehr so für einen Mann empfunden, geschweige denn, es laut ausgesprochen. Offen gestanden wusste sie gar nicht, ob sie es überhaupt je laut gesagt hatte. James und sie waren nicht gerade Meister in
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