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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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zu sein, und es hatte einen unguten, metallischen Geschmack. Dusty staunte, wie gut Tomasz schwamm. Ungeachtet der Medaillen, die sie bei Olympischen Spielen regelmäßig abräumten, stand für Dusty irgendwie fest, dass Europäer im Wasser zu nichts zu gebrauchen waren.
    Sie erreichten den ersten entwurzelten Baum. Dusty
steckte den Kopf unter Wasser und öffnete die Augen. Das Wasser war wesentlich klarer, als sie erwartet hatte, und der glatte Stamm verschwand in der Tiefe. Der nächste Baum war deutlich größer, und seine Äste ragten in alle Richtungen.
    »Wonach suchst du eigentlich?«, fragte Tomasz, als sie wieder auftauchte.
    »Nach gar nichts. Ich schau nur«, behauptete sie, als sei dies auf dem fünften Kontinent eine gängige Art, den Samstagnachmittag zu verbringen.
    »Ist es das?«, fragte er und zeigte zur abgelegenen Seite des Baums.
    Außer einem Gewirr von Zweigen konnte Dusty dort nichts erkennen. »Was?«
    »Angelschnur«, sagte er.
    Mit raschen Brustzügen näherte sich Dusty dem Ast. Jetzt sah sie es selbst - ein Stück Angelschnur, das sich in einem Zweig verheddert hatte.
    Sie zupfte an der Schnur und spürte das Gewicht am anderen Ende. Sie holte tief Luft und tauchte an der Schnur entlang nach unten. Anfangs sah sie nur einen undeutlich farbigen Fleck. Aber als sie tiefer tauchte, wurde daraus ein nackter Körper. Aufgebläht, verzerrt, aber ein Körper. Eine Frau. In ihren Haaren hatte sich ein blau-weißer Köder verfangen. Dusty tauchte tiefer. Um die Knöchel war ein Motorblock gekettet. Und in ihrer Vagina steckte ein Messer mit weißem Heft.
    Dusty ging die Luft aus, und sie tauchte auf.
    »Tomasz, du solltest jetzt lieber zurückschwimmen.«
    »Wieso?«
    »Weil da unten etwas ist, was du besser nicht siehst.«

    Bevor sie ihn aufhalten konnte, war Tomasz untergetaucht.
    Als er wieder nach oben kam, stand ihm Erstaunen ins Gesicht geschrieben, aber nicht der Schock, nicht das Grauen, das man nach einem derart furchtbaren Anblick erwarten würde.
    »Ich hätte es dir schon früher sagen sollen«, meinte Dusty. »Ich bin ein Copper.«
    »Copper?«
    »Ich bin Polizistin, Detective.«
    Tomasz grinste.
    »Was ist daran so komisch?«
    »Genau wie ich.«
    Die Wolken waren jetzt finsterer geworden, vor allem im Norden, wo sie pechschwarz dräuten und von schmalen Blitzen durchzuckt wurden. Es war noch stiller als zuvor, und die Lagune war mit einem unheimlichen Licht aufgeladen, das sämtliche Farben, das Rosa der Seerosen, das Grün der Schraubenbaumblätter, satt und üppig erstrahlen ließ.
    »Dann kannst du mir ja helfen, sie ans Ufer zu schleppen«, sagte Dusty.
    »Das ist völlig ausgeschlossen«, widersprach Tomasz.
    »Was?«, sagte Dusty.
    »Das ist ein Leichenfundort - du musst alles exakt so belassen, wie es ist.«
    »Wie kommt es eigentlich, dass du plötzlich so hervorragend Englisch sprichst?«
    »Das ist deine Schuld«, sagte er.
    »Was soll das denn heißen?«
    »Vass … ist … tein … Name?«, imitierte er Dustys Oberst-Klink-Akzent von gestern Nacht.
    »›Vass‹ hab ich nicht gesagt.«

    »Hast du wohl.«
    »Dann hast du mich die ganze Zeit verarscht?«
    »Als ich erst mal angefangen hatte, so zu reden, war’s schwer, wieder damit aufzuhören.«
    Dusty hätte eigentlich stinksauer sein sollen - Tomasz hatte sie ganz schön zum Narren gehalten -, aber stattdessen war sie erleichtert. Das vereinfachte die Kommunikation sehr.
    »Und was ist dein Fachgebiet bei der Polizei?«, wollte sie wissen.
    »Spurensicherung.«
    »Hätte ich mir denken können«, sagte Dusty. »Unantastbarkeit des Tatorts und so weiter und so weiter.«
    »Wir müssen sie hierlassen.«
    »Dann wird sie womöglich von einem Krokodil gefressen«, entgegnete Dusty.
    »Du hast gesagt, hier gibt’s keine Krokodile!«
    Vielleicht hatte er ja recht, überlegte Dusty.Vielleicht war es wirklich besser, die Leiche zu lassen, wo sie war. Unantastbarkeit des Tatorts und so weiter und so weiter.
    »Okay, du hast gewonnen. Wir lassen sie hier.«
    Während sie zum Ufer zurückschwammen, überschlug Dusty die Sache im Kopf. Vom Billabong bis Darwin waren es vier Stunden Fahrt, mindestens eineinhalb, bis das Handy wieder ein Netz hätte. Ein Spurensicherungstrupp würde bis hierher mindestens sechs, eher sieben Stunden brauchen. Dusty wollte die Leiche nicht unbeaufsichtigt lassen, aber was blieb ihr übrig? Sie konnte ja schlecht Tomasz als Bewacher abstellen. Sie glaubte ihm zwar, dass er Polizist war, aber er war

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