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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Ordnung?«
    Sie machte die Augen auf und sah in Sams besorgtes Gesicht. Die Band war von der Bühne gegangen, aus den Lautsprechern dudelte Sting, und das Publikum hatte es eilig wegzukommen.
    »Klar, mir geht’s bestens.«
    »Willst du die Band kennen lernen?«
    »Klar.«
    »He, du machst den Jungs doch keinen Ärger, oder?«
    »Nein, wo denkst du hin. Ganz und gar nicht.«
    Dusty folgte Sam durch einen dunklen Gang, der nach abgestandenem Bier und frischem Erbrochenen roch, in die dicht gefüllte Garderobe.
    »Ich muss wieder an die Arbeit«, verabschiedete sich Sam.
    Dusty dankte ihm und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, ganz lässig, in der Hoffnung, eine möglichst überzeugende Vorstellung eines Groupies abzugeben. Ihr letzter verdeckter Einsatz lag schon eine Weile zurück - damals war sie mit Fontana in Kanulla gewesen, Gardners Heimatort -,
und sie wurde das Gefühl nicht los, jeder könne ihr ansehen, dass sie bei der Polizei und Country-Fan war. Die Musiker fläzten sich auf abgewetzten Vinyl-Sofas, tranken Bier aus der Dose und aßen Pizzas von Domino. Der Smalltalk bewegte sich auf höherem Niveau. Schon mal dran gedacht, in New York aufzutreten? Oder LA? Mehrere Typen scharwenzelten um die Band herum, Plattenfuzzis wahrscheinlich, überlegte Dusty, dazu ein babygesichtiger Reporter und zwei hiltoneske Blondinen. Als Klein-Teddy aufstand und die Kühlbox mit dem Bier ansteuerte, fing sie ihn ab.
    »Teddy?«
    »Jamarra«, korrigierte er.
    »Aber du bist Teddys Sohn?«
    »Yo«, bestätigte er. »Aber heißen tu ich Jamarra, klar, Baby?«
    »Schön, Jamarra, ich fand den Auftritt toll«, sagte sie, und das war nicht einmal komplett gelogen - die letzte Nummer hatte sie richtig toll gefunden, und der Rest war auch nicht wirklich übel gewesen.
    »Yo.«
    Yo? Was sollte das denn für eine Antwort sein?
    Es war an der Zeit, zur Sache zu kommen. Yo.
    »Hör zu, ich bin von der Polizei«, sagte sie.
    »Du willst mich verarschen.«
    Schwer zu sagen, ob er sie auf den Arm nehmen wollte - es war völlig unübersehbar, dass sie Polizistin war - oder ob seine Verblüffung echt war.
    »Ich habe gelegentlich mit deinem Dad gearbeitet«, erklärte Dusty. »Wirklich schlimm, das mit seinen Augen.«
    »Ja, stimmt. Aber manchmal läuft’s halt nicht so, verstehste?«

    Dusty nickte. Sie verstand genau, was er meinte. Manchmal lief es halt nicht so. Besonders für einen Aborigine.
    »Er meint, du wärst genauso gut wie er.«
    »Ich mach den Mist nicht«, entgegnete er mit scharfem Unterton.
    »Ich zahle Top-Dollar«, sagte Dusty und wusste im selben Moment, das war der neue Spitzenkandidat für den bescheuertsten Spruch, den sie je im Leben abgelassen hatte.
    »Da wett ich drauf«, sagte Klein-Teddy. »Aber ich bin nun mal kein blöder Thekenunterleger, verstehste?«
    Auch diesmal wusste Dusty genau, was er meinte - das klassische Thekenunterleger-Motiv: der edle Wilde, auf einem Bein stehend, den Speer in der Hand und in die Ferne spähend.
    »Also dann, Constable.«
    »Ja, also dann«, erwiderte Dusty und sparte sich die Mühe, ihn zu verbessern.
    Im Moment kam sie sich ganz und gar nicht wie ein Detective vor.

41
    »Dad, du musst dringend zum Arzt.«
    Dieses »Dad« war für Tank noch immer höchst gewöhnungsbedürftig. Womit hatte er sich diese Anrede verdient? Ihre Mutter hatte er wie Dreck behandelt. Er hatte die beiden sitzenlassen, da war sie noch ein kleines Mädchen gewesen. Er hatte Alimente gezahlt, das schon, aber auf ihre Erziehung hatte er nicht den geringsten Einfluss gehabt. Und dann, vor zehn Jahren, hat sie ihn einfach besucht.
Diese bildschöne, gebildete junge Frau, seine Tochter. Weil sie will, dass er Teil ihres Lebens ist. Sie hat viel über Vietnam gelesen, sie weiß nicht wirklich, was er durchgemacht hat - wie sollte sie auch, wenn sie nicht dabei war -, aber sie hat eine gewisse Vorstellung davon. Sie ist bereit zu vergeben, das Vergangene ruhen zu lassen, nach vorne zu schauen.
    »Dad, du musst wirklich dringend zum Arzt«, wiederholte sie. »Ich komme mit, wenn dir das lieber ist.«
    Das Ekzem war wieder da, und seine Arme brannten wie Feuer. Außerdem heilte die Hüfte nicht so, wie der Spezialist versprochen hatte. Und dann auch noch das andere. Dinge, von denen sie nichts wusste - der Nachtschweiß, die Aussetzer, wenn er den ganzen Tag drinnen hockte, weil er sich fürchtete, ins Freie zu gehen. All das Zeug, von dem er gedacht hatte, er hätte es ein für alle Mal hinter

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