Vor dem Sturm (German Edition)
gepackt und an sich gezogen hat.
»Nein.« Ich wollte seinen Namen sagen; das kommt stattdessen heraus.
»Nee, Esch.« Er knetet das Wasser, stemmt sich hoch und strampelt weg von mir. »Du weißt, dass es nicht so ist«, sagt er, und der Schmerz kommt jäh, wie ein Wolkenbruch.
Manny schwimmt zu Randall, der gerade ans Ufer geht und sich seine Sachen anzieht. Mannys Rücken ist eine verschlossene Tür. Seine Schultern sind wunderschön. Ich stelle mir vor, wie ich auf seinem Rücken bin, wie er mit mir durchs tiefe Wasser schwimmt, mich auf festen Boden bringt. Wie der andere Manny sich im Wasser umdrehen würde, um mich zu küssen, meinen Atem zu schlucken. Wie er an Land meine Hand halten würde, statt sie unter Wasser um seinen Schwanz zu legen. Wenn ich ihm mein Geheimnis verrate, wird er sich mir dann zuwenden? Ich atme alle Luft aus und lasse mich sinken, mit heißem Kopf. Ist das so ähnlich, wie ein Baby im Bauch seiner Mutter schwimmt? Ich lege eine Hand auf meinen Bauch und höre Daddy etwas sagen, was er nur in nüchternen Momenten sagt:
Was man im Dunkeln tut, kommt immer ans Licht
. Ich liebe Manny,schon seit ich gesehen habe, wie er dieses Mädchen küsst. Ich habe ihn schon geliebt, ehe er mit Shaliyah ging; Shaliyah, die dünn ist, hellhäutig und verrückt, die ständig versucht, Mädchen zu verprügeln, von denen sie glaubt, dass er was mit ihnen hat. Einmal hat sie eine Flasche auf dem Kopf von Marquises Cousine zerschlagen, unten beim Oaks, am Teenager-Abend.
Shaliyah
. Sie hat die Sorte Augen, die sich immer schnell hin und her bewegen, wie Katzenaugen. Er spricht mit Randall über andere Mädchen, aber er kommt immer wieder auf sie zurück: beschwert sich, weil sie sein Telefon checkt, weil sie ihn dauernd anruft, weil sie nur einmal in der Woche kocht, weil sie seine Klamotten überall in dem Wohnwagen, in dem sie zusammen wohnen, herumliegen lässt, sodass er seine Wäsche selbst machen muss, wenn er für seinen Job bei der Tankstelle etwas zum Anziehen haben will. Ich habe sie einmal im Park gesehen, und ihre verrückten Katzenaugen haben glatt über mich hinweggeschaut: weder Beute noch Bedrohung. Ich habe ihn schon vor diesem Mädchen geliebt. Ich stelle mir vor, dass Medea sich so gefühlt hat, als sie sich in Jason verliebt hat, als sie ihn kennengelernt hat; wie sie ihn angeschaut und ein loderndes Feuer in ihrer Brust gespürt hat, das ihr Blut zum Kochen brachte und als heißer Dampf aus jeder Pore ihrer Haut hervortrat. Ich spüre es so stark, dass ich nicht verstehe, wie es sein kann, dass Manny es nicht auch spürt.
Mein Bauch ist so fest wie ein Kürbis, weil dieses Baby in mir drin ist, so klein wie Mannys Augenwimper an meiner Wange beim Sex. Und dieses Baby wird heranwachsen, zu einer Fingerspitze auf meiner Hüfte, einer Hand auf meinem Kreuz, einem Arm um meine Schulter, wenn es überlebt. Ich glaube, es ist für Manny; er ist der Einzige, mit dem ich in den letzten fünf Monaten Sex hatte. Seit damals, als er mich im Wald überrascht hat, während ich nach Junior suchte, mich geschnappt und mein Mädchenherz gesehen hat, habe ich nur noch ihn hereingelassen.
Nachdem wir zum ersten Mal Sex hatten, wollte ich mit keinem anderen mehr Sex haben. Ich zucke entweder die Achseln oder tue so, als hätte ich es nicht mitbekommen, wenn Marquise oder Franco oder Bone oder einer von den anderen Jungs eine Anspielung macht. Sie fragen, und ich gehe weg, weil sich das so anfühlt, als ginge ich auf Manny zu.
Über dem Wasser ist ein Geräusch; jemand ruft. Als ich auftauche und Atem hole, meine Lungen nach Luft schnappen, ist nur noch Skeetah da, und er schweigt. Fledermäuse schwirren über uns durch die Luft, sie pflücken die Insekten vom Himmel, während sie unaufhörlich herumflattern wie schwarze Herbstblätter. Skeetah schaut zu, wie ich zu ihm ans dreckige Ufer schwimme, mir meine seifigen Sachen anziehe, und sagt nichts, ehe er sich umdreht und mich durch die Dunkelheit führt, nackt.
Der vierte Tag
LOHNENDE BEUTE
Ü BERALL SIND F LÖHE . Auf dem Weg zu Mother Lizbeths und Papa Josephs Haus wate ich durch schaumige Pfützen, in denen es davon wimmelt. Sie springen hoch, heften sich wie Kletten an meine Beine und beißen, bis ich auf dem stehe, was von der Veranda übrig geblieben ist: zwei Kanthölzer, die schief an der Hauswand hängen wie ein verlassener Pier, der unter die Sturmflutgrenze gesunken ist und jetzt langsam von Sand überflutet wird. Die Fliegengittertür
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