Vor dem Sturm (German Edition)
den Cheerleadern in der Schule sehe, wenn sie aufeinander klettern, um ihre Pyramiden zu machen, ihre Menschendschungelgymnastik: vorderes Knie gebeugt, hinteres Bein gestreckt, beide so fest und stabil auf dem Boden, wie es nur geht. Daddy hat die Arme verschränkt und schaut zum Dachboden hinauf.
»Nee, Esch. Ich kann hochspringen.«
»Kannst du nicht«, sagt Daddy. »Los, mach schon.«
Skeet legt eine Hand auf meine Schulter. Ich bin überrascht, wie hart seine Haut ist; seine Schwielen sind wie Kieselsteine in der weichen sandigen Haut seiner Handfläche, während sich bei Daddy die ganzen Hände wie Kies anfühlen. Wenn Skeetah nicht lächelt, zeigen seine Mundwinkel nach unten. Jetzt, wo er wütend ist, sieht sein Kinn hart aus, und sein Mund ist eine gerade Linie.
»Ich steige auf und packe zu, okay? So schnell ich kann.«
Ich nicke. Skeetah schaut mich noch einmal kurz an und wiederholt die letzten Worte.
»So schnell ich kann.«
Als Skeetah aufsteigt, presst sich sein Turnschuh in meinen Oberschenkel, und die Gummirillen fühlen sich wie Stollen an. Es tut weh. Unwillkürlich kommt ein Laut aus meiner Kehle, aber ich mache schnell so fest zu, dass ich kaum noch atmen kann. Er stellt sich hin und greift nach einem Deckenbalken hinter dem vergipsten. Mein Bein zittert.
»Genau da«, sagt Daddy.
Als Skeetah sich von meinem Bein abstößt und sich an den Armen hochzieht, fühlt sich das so an, als bohre sich sein Fuß in meine Haut. Wieder überrascht mich ein Laut, der meiner Kehle entfährt, und beschämt atme ich tief ein. Als wir klein waren, hat Daddy, wenn wir hingefallen waren und uns das Knie aufgeschlagen hatten und weinten, immer die Augen gerollt und
Hör auf, hör auf
gesagt. Ich richte mich auf und reibe mir das Bein.
»Gut«, sagt Daddy. Daddy wirft den Hammer nach oben, und Skeetah geht auf die Seite des Dachbodens, die ich nicht ein sehen kann, und fängt an zu hebeln. Ich beuge mich vor und reibe über die Spuren, die Skeetah auf meinem Bein hinterlassen hat. Das erste Brett geht leicht ab. Ich blicke nach oben und sehe, wie Skeetah es durch das Loch in der Decke nach unten wirft, wo es zu dicht neben Daddys Füßen landet. Ich springe zur Seite. »Pass auf, Junge.«
Daddy gibt mir das Sperrholz und zeigt zur Tür. Das andere Stück Holz löst sich mit einem Knacken, und ich schaue mich um und sehe, wie Skeetah es wie einen Papierflieger durch die Decke nach unten schickt, direkt auf Daddy zu, der sich duckt.
»Scheiße!«
»Tut mir leid«, sagt Skeetah, während er herunterspringt undwie eine Katze landet. Das Brett hat Daddy getroffen, ist dann von der Wand abgeprallt und mit einem Knall auf den Boden gefallen. Skeetah lächelt.
»Verdammt noch mal, Junge.«
»Ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut.« Skeetah lächelt nicht mehr, aber als ich mein Brett durch die Tür schiebe, lächle ich in mein T-Shirt hinein, weil er den gleichen Ausdruck auf dem Gesicht hat wie damals, als er das mit dem Rasierklingenessen geschafft hatte, und ich weiß, er ist an mich gerichtet.
Im Wald östlich von uns, etwa anderthalb Kilometer weiter, hinter Kiefern und Eichen, die so groß und alt sind, dass ihre Äste bis auf den Sandboden gewachsen sind, um sich dort auszuruhen, liegt eine Wiese mit weidenden Kühen. Ein Zaun aus Holz und Stacheldraht umgibt die Wiese. In ihrer Mitte steht eine große braune Scheune und daneben ein kleines weißes Haus mit einem spitzen Blechdach und kleinen Fenstern. Dort wohnen Weiße.
Skeetah hat diesen Ort irgendwann einmal zufällig entdeckt, als wir den ganzen Tag im Wald Verfolgungsjagden gemacht haben, immer im Kreis gerannt sind, Mannschaften gebildet und uns stundenlang versteckt und gesucht haben. Er geriet auf eine Lichtung, wo die Kiefern brutal abgeholzt worden waren, sodass das Feld hinter dem Zaun mit Stümpfen übersät war, die wie Stühle aussahen, auf die sich nie jemand setzen würde. Fischreiher stolzierten pickend neben den Kühen durchs Gras, so prahlerisch und aufmerksam wie übereifrige Freundinnen. Als ich aus dem Wald gestürmt kam, vergaß ich, Skeetah abzuschlagen, weil ich so verblüfft darüber war, dass sich plötzlich der Himmel zu dieser Wiese hin öffnete und die Landschaft irgendwie ganz falsch wirkte. Es gab zu viel Blau. Ein Pick-up glitt geräuschlos aus dem Schatten einer Schneise im Wald, die, wie ich annahm, ihre Auffahrt darstellte, und eine Kuh muhte. Zwei ältere Weiße,ein Mann und eine Frau, stiegen aus dem Wagen,
Weitere Kostenlose Bücher