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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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tagelang nicht gesehen. Tage vergingen, ehe ich beim Eiersuchen im Wald oder auf der Suche nach Randall und Manny oder auf dem Weg zur Grube, um schwimmen zu gehen, auf Skeetah stieß, der China mit einem alten Fahrradreifen oder einem Seil beibrachte anzugreifen, zuzubeißen und festzuhalten. Sie spielten Tauziehen, wirbelten Staubwolken auf und hinterließen trockene Flussbetten in den Tannennadeln. Oder China machte ein Schläfchen, während Skeetah Rasierklingen aß, sie sich in die rosige Tasche zwischen Wange und Zunge schob und sie dann so schnell durch die Lippen wieder hinausbeförderte, dass ich dachte, ich träume. Einmal habe ich ihn gefragt, warum er das macht, und er sagte grinsend:
Warum soll China die Einzige sein, die scharfe Zähne hat?
    »Jepp.« Sage ich.
    Das Brummen von Daddys Traktor kommt näher. Skeetah nimmt die Bodenfliesen und fängt an, sie durch ein Fenster im hinteren Teil des Hauses zu werfen, weil er weiß, dass Daddy dort nicht hingeht, denn die Hintertür ist schon seit Jahren mit Glyzinien und Kopoubohnen überwuchert. Die Vordertür ist der einzige Eingang. Er wirft die letzte Fliese nach draußen und das Teppichmesser hinterher, und schon stößt Daddy die Tür auf. Der Knall des Holzes hallt durch den Raum wie ein Pistolenschuss, und ich denke, er hat die Tür aus den Angeln gehoben, aber sie bleibt aufrecht. Die Spinnweben hinterlassen eine graue Spur, und ein Blatt bleibt in seinem Haar hängen. Sein T-Shirt ist unter den Achseln, am Hals und in der Mitte seines Rückens ganz dunkel. Seine Stiefel treffen so hart auf den Boden, dass es klingt, als würde er durch das verrottete Holz brechen. Er ist nicht viel größer als wir. Ist es das, was Medea gesehen hat, als sie sich entschloss, Jason zu folgen, ihrem Vater mit ihrem Bruder zu entkommen? Hat sie durch die reichen Gewänder ihres Vaters hindurchgeschaut und den schmalschultrigen Mann darunter gesehen?Obwohl er nicht mehr viel arbeitet, nur hier und da mal einen Job als Helfer beim Austernfischen annimmt oder Altmetall transportiert, trägt er, solange ich denken kann, Tag für Tag die gleichen Arbeitsklamotten: Stahlkappenstiefel, lange Hosen, zwei T-Shirts, zwei Paar Socken. Mama hat die Sachen jeden Abend fein säuberlich gefaltet für ihn auf dem Stuhl in der Ecke ihres Schlafzimmers zurechtgelegt, und wenn sie über den Stuhl gebeugt dastand, kam Daddy von hinten, legte seine Arme um ihre Taille und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann sagte er, wir sollten fernsehen, in unsere Zimmer gehen, die Tür hinter uns zumachen. Jetzt blickt Daddy überrascht auf.
    »Was macht ihr denn hier?«
    »Nichts«, sagt Skeetah schnell und laut und geht in Richtung Tür auf Daddy zu.
    »Halt, stopp«, sagt Daddy. »Ihr müsst mir helfen.«
    »Ich muss mich um China kümmern.«
    »Jetzt nicht«, sagt Daddy. Er packt Skeet beim Arm, als er sich an ihm vorbeizwängen will. »Sie kann warten.«
    Skeetah macht seinen angefangenen Schritt zu Ende und entzieht sich Daddy. Skeet wirkt überrascht, als Daddys Finger von seinem Arm abrutschen, und Daddy schaut mich an, nur ganz kurz, als wäre er verwirrt. Skeetah bleibt stehen und dreht sich um, und Daddy zeigt nach oben zum Dachboden.
    »Gibt ’n neuen Sturm im Golf. Heißt José. Soll in Mexiko auftreffen.«
    Skeetahs Augen gehen auf, so als wolle er sie rollen, aber das tut er nicht.
    »Siehst du die Sperrholzplatten da oben? Die beiden, die nicht total verfault sind?«
    Skeetah nickt. Ich bin erstaunt, dass Daddy nicht den üblichen süßlichen Brotgeruch vom morgendlichen Bier an sich hat.
    »Jo.«
    »Du musst sie mit dem Hammer hier von der Wand abhebeln und runterwerfen. Ich und Esch tragen sie dann raus und legen sie auf den Traktor.«
    Die Wohnzimmerdecke ist schon vor Jahren eingebrochen, deshalb kann man jetzt leicht bis zum Dachboden durchgucken und Teile der Dachbalken sehen. Skeetah versucht, hochzuspringen und sich nach oben zu ziehen, aber obwohl er wirklich so hoch kommt, kriegt er den Balken nicht zu fassen, weil der Gips, der wie Seepocken daran klebt, das Zupacken schwierig macht.
    »Esch, lass deinen Bruder auf dich raufsteigen.«
    Skeetah schaut ihn an, als wäre er verrückt, aber er sagt nichts.
    »Geht schon.«
    Daddy könnte für Skeetah Leiter spielen, wenn er wollte, könnte ihn mit seinen Händen, die so robust sind wie Taue, hochstemmen, aber das wird er nicht machen. Das wissen wir alle.
    »Also los, Skeet.«
    Ich mache einen Ausfallschritt, wie ich es immer bei

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