Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
Vom Netzwerk:
den Daddy aus dem Wald hergeschleppt hatte, und stand mit ihm ganz still da, während der Vogel so schnell mit den Flügeln schlug, dass man sie kaum noch erkennen konnte. Aber das Huhn machte nie irgendwelchen Krach. Und dann legte sie eine Hand über sein Gesicht, als sollte es etwas nicht sehn, packte zu und drehte. Brach ihm das Genick. Schnitt den Kopf auf dem Baumstamm ab.« Randall holt beim Sprechen kein Mal Luft, er lässt alles gleichmäßig aus sich rausströmen. Er schluckt. »Hühnchen schmecken nicht mehr so wie früher.« Die Grillen in dem Baum, der am nächsten bei uns steht, stimmen ein dunkles Brummen an, das Randall fast übertönt. Ich kann mich gar nicht so genau daran erinnern, wie Mama Hühner getötet hat, aber als Randall es erzählt, sehe ich es vor mir, und es kommt mir so vor, als würde ich mich erinnern.
    »Jo«, sagt Skeetah; er blinzelt sehr langsam mit den Augen. Er hebt den Welpen hoch. Der Bauch der kleinen Hündin hebt und senkt sich, und die Luft, die aus ihr herauskommt, klingt wie das Quaken eines Frosches. Ich strecke die Hand aus, um sie zu streicheln. »Nicht«, sagt Skeetah. »Es überträgt sich auf die andern.«
    Er schaut mich kurz an und lächelt so halb, dann blickt er auf seine Hände hinunter.
    Hinter den Bäumen scheint der Neumond, und Nella singt ihn an. Ich glaube zu sehen, wie Junior durch die schwarzen Schatten huscht wie ein Eichhörnchen, immer wieder zögernd um sich blickt, aber als ich genauer hinschaue, ist jenseits des Feuerscheins nichts als Dunkelheit.
    Skeet packt zu und dreht, und sein Griff so sicher wie Mamas.
    Als Skeetah vom Begraben des Welpen zurückkommt, hat er kein Hemd an; seine Muskeln sind schwarz und faserig, so wie die von dem Eichhörnchen. Schweiß bedeckt ihn wie eine Ölschicht. Einen Moment lang steht er ganz still im Feuerschein und atmet tief. Er wirft sein Hemd ins Feuer.
    »Was soll das denn?«, fragt Marquise an dem Eichhörnchenknochen vorbei, den er abnagt. Er schlürft und verschluckt fast den Knochen, bringt ihn aber wieder hoch.
    »Is alles vergiftet«, sagt Skeetah. »Alles!«
    Er streift seine Hose ab, wirft sie ins Feuer.
    »Ist das dein Ernst?« Marquise lacht.
    »So ernst wie ein Herzanfall«, sagt Skeetah. Seine Boxershorts hängen tief, das Gummiband am Bund guckt raus. Er nimmt das Geschirrspülmittel und geht auf das schwarze Wasser der Grube zu, bückt sich im Gehen, streift seine Unterhose erst von einem, dann von dem anderen Bein und wirft sie dann ins Feuer, während er über seine Schulter nach hinten schaut. Aber er dreht sich nicht noch einmal um. Er besteht nur aus Muskeln. Ich habe ihn nicht mehr nackt gesehen, seit wir klein waren und Mama uns zusammen in die Wanne gesteckt hat.
    »Willst du dich etwa da drin waschen?«, sagt Marquise, aber noch während er das sagt, steht Randall auf; und obwohl Randall den Welpen nicht angefasst hat, zieht er sich ebenfalls komplettaus und lässt seine Sachen in einem Haufen liegen. Er ist größer, und seine Arme und Beine sind wie Gummibänder. Big Henry drückt und dreht seine Flasche in die Erde, bis sie fest steht. Er streift zuerst seine Schuhe ab, dann zieht er seine Socken aus und faltet sie zusammen, ehe er sie in die Schuhe steckt. Seine Füße sind groß und weich und obendrauf mit lockigen schwarzen Haaren bedeckt wie ein Babykopf.
    Wo meine Brüder hingehen, gehe ich auch hin.
    Ich wate vollständig angezogen ins Wasser. Als ich ganz nass bin, nehme ich mir von Skeetah die Seife und reibe Schaum in meine Kleidung. Ich mache sie weiß, ehe ich sie ausziehe, ein Stück nach dem anderen, bis ich nackt im Wasser stehe und meine Sachen einen schmutzigen, schleimigen Haufen an dem schlammigen Ufer bilden.
    »Verrückte Nigga«, sagt Marquise, aber er zieht sich trotzdem aus und folgt uns ins Wasser.
    »Mir war sowieso zu heiß«, sagt Manny, wirft sein weißes T-Shirt da hin, wo ich gesessen habe, zusammen mit seiner Hose, und zieht sich bis auf die Unterhose aus. Er rennt los und springt ins Wasser, kommt hinter Randall hoch und geht auf ihn los, sodass sie beide untergehen. Sie kämpfen kichernd, sehen aus wie Fische, die an der Angel ziehen. Marquise lässt sich von einem Seil fallen, das an einem der hohen Bäume hängt, und Big Henry bewegt sich mit langsamen Stößen durchs Wasser; seine Hände tauchen so exakt ein, dass es überhaupt nicht spritzt. Randall und Manny tauchen sich lachend gegenseitig unter. Ich wünschte, Manny würde mich berühren, zu

Weitere Kostenlose Bücher