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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Grube ist unterhalb von uns, und wir laufen nah am Rand entlang, sprinten immer schneller auf das Haus zu, auf eine zugeknallte Hintertür, ein Autodach, den Ausweg. Der Wald zwischen der Grube und unserem Haus und dem Schuppen zieht mit einem Seufzer vorbei, und dann sind wir hinten auf dem Grundstück, und Skeetah schleudert den Ast von sich. Der Hund kommt schliddernd zum Halt. Er bellt laut und freudig, ruft aufgeregt den rotgesichtigen Mann.
Hier sind sie, hier!,
sagt er.
    China ist das Schschsch!, der Finger, der mahnend an die Lippen gelegt wird. Sie ist auf ihm, ein weißes Etwas auf Grau, Schnee auf einer dunklen Wolke, beißende Kälte. Unerbittlich. Sie ist ein einziger Riesenzahn. Twists Knurren trifft auf ihrs, aber schon windet er sich, rollt sich zusammen, heult. Randall rennt mit Junior, der immer noch mit offenem Mund nach hinten starrt, zur obersten Stufe der Treppe, ich bin am Fuß der Stufen stehen geblieben, Big Henry hockt auf dem Dach seines Autos, um mit anzusehen, wie Skeetah taumelnd zum Stehen kommt, den Arm noch ausgestreckt, und sich umdreht, um zuzuschauen. Twist heult wieder auf, diesmal mit einer Spur von Verzweiflung. China packt ihn und krümmt ihren Rücken, beißt sich fest, während ihr ganzer Körper gegen den anderen Hundprallt. Es sieht aus, als würde sie schon wieder gebären. Twists Heulen wird zu einem Jaulen. Sie hat ihn am Nacken gepackt. Skeetah lächelt.
    »Skeet!«, brülle ich. Ich schlage ihm auf den Rücken, seine Muskeln zwischen den flachen Schulterblättern sind wie Porzellanteller. Er schaut mich verblüfft an, sein Lächeln ist ihm vor Schreck vergangen.
    »Was denn?«
    »Sie bringt ihn um.«
    Er schaut wieder zu China, die sich zusammenzieht, ihr ganzer Körper ein Biss, und dem anderen Hund, der ruckend und blutend an ihr dran ist, ächzende Laute entlockt.
    »Ruf sie zurück«, sage ich.
    Skeetah steckt die Hände in die Taschen und befühlt das, was ich jetzt dort entdecke, etwas, das so groß ist wie geballte Fäuste. Das Wurmmittel.
    »Er wird ihn brüllen hören und ihm hierher folgen«, sage ich über das Knurren und Jaulen hinweg. Twist dreht und windet sich wie ein Tornado.
    »Stopp!«, bellt Skeetah und stürzt sich auf China. »China!« Er brüllt: »Warte!«, greift sich ihre Hinterbeine und zieht. Sie bewegt noch einmal ruckartig den Kopf, wutschnaubend, und lässt dann los, reißt den Kopf zurück, sodass das Blut glitzernd durch die Luft spritzt, ehe es tropfenweise auf den Sand niedergeht, ein leichter roter Schauer. Twist springt auf und rennt los, humpelnd wie sein Herrchen, in Richtung Grube und weiter; sein panisches Jaulen klingt wie eine Sirene, die in der Entfernung verebbt, einem anderen Notfall entgegenheult. Hinter ihm regnet es rot.

Der fünfte Tag
    RETTE SICH, WER KANN
    K ÖRPER ERZÄHLEN G ESCHICHTEN . Das wird mir klar, als ich am Morgen ins Badezimmer stürme, die Blase voll mit frühmorgendlichem Schwangerenurin, und Skeetah vor dem Spiegel stehen sehe. Er hat kein Hemd an. Mit zwei Fingern zieht er Schnittwunden auf seinem Bauch nach, so wie er nach einem Kampf Chinas Mund nach Rissen und fehlenden Zähnen absucht: ganz leicht und behutsam. So wie andere Leute einen Finger in ein Törtchen stecken, um die Creme zu kosten.
    »Komm rein«, flüstert er und zieht sich ein Hemd über. Das Licht im Bad ist grau, weil die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Wir schieben uns aneinander vorbei, und er wartet draußen neben der Tür, die ich nur angelehnt habe, während ich pinkle. Ich spüle, klappe den Klositz runter und setze mich; ich drücke mit den Händen gegen meinen Bauch und spüre, wie er zurückdrückt. Hoffnungsvoll, aber zugleich in dem Bewusstsein, dass es nicht nur ein Traum war. Skeetah scharrt im Flur mit den Füßen, und als ihm klar wird, dass ich nicht gleich wieder gehe, kommt er zurück ins Bad. Ich hatte sein zerrissenes T-Shirt gesehen, nachdem Twist weggelaufen war, aber ich wusste nicht, wie schlimm er sich geschnitten hatte.
    »Wann ist das passiert?«
    »Als ich aus dem Fenster geklettert bin. Ich hatte es eilig.«
    Ich ziehe den Bauch ein, und Übelkeit wallt in mir auf. Was soll ich ihm sagen?
    »Tut mir leid«, sage ich. »Ich musste pinkeln.«
    Er nimmt eine elastische Binde, so alt, dass sie schon ganz ausgeblichen ist, und zieht den Saum seines T-Shirts hinter seinen Kopf, sodass es seine Schultern umarmt wie ein Achselzucken. Er ist so dünn, dass es lose an ihm hängt.
    »Ist schon gut«, sagt

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