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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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sieht, ob er sich vorstellt, wie sie aussehen werden, wenn sie geheilt sind. Seine eigenen Kampfnarben.
    »Ja«, sage ich.
    Als Mama das letzte Mal mit uns zur Bucht kam, hat Daddy seine Leine nach hinten geschwungen, um sie auszuwerfen, und dabei mit dem Haken ihre Handfläche erwischt. Der Stachel sank tief in ihr Fleisch. Sie zog ihn heraus und spülte ihre Hand in dem Wasser ab, in dem wir schwammen. Ihr Bauch war dick von Junior. Die Wunde heilte krumm und schief, wurde ganz lila, und als Eiter herausfloss, musste sie in die Klinik fahren, um sich eine Salbe dafür zu holen. Immer wenn sie mich durch den Laden oder in der Öffentlichkeit durch eine Menschenmenge führte und mir dabei ihre Hand in den Nacken legte, spürte ich die Narbe und sah wieder die Pelikane vor mir. Von Nahem waren ihre Schnäbel dunkel gekerbt, wie die Seepocken an Schiffsrümpfen, in dergleichen Farbe wie Mamas Hand, und sie waren messerscharf. Sie mochten es nicht, wenn wir nah an sie heranschwammen. Ihre Hand war etwas Besonderes, ihr eigen, einzig. Mama.
    »Du bist gestern langsam gelaufen.«
    Ich halte den Verband fest am Körper. Skeetah nimmt eine rostige Sicherheitsnadel vom Waschbeckenrand und steckt ihn fest.
    »Nur am Anfang«, sage ich.
    »Wieso?«
    »Weiß nicht.« Das Licht kriecht ins Badezimmer wie Nebel.
    Skeetah zieht sich das Hemd wieder über den Kopf, schaut auf meinen Körper hinunter, meine Brust, meinen Bauch, meine Füße. Was weiß er? Ich trete von einem Fuß auf den anderen, kann mich kaum zurückhalten, die Arme zu verschränken.
    »Vielleicht hast du zugenommen.«
    »Soll das heißen, du findest mich fett?« Ich versuche, nicht zu weinen. Ich will, dass er es weiß, aber ich kann es ihm nicht sagen, weil ich es nicht aussprechen kann. Ich habe es noch nicht mal zu mir selbst gesagt, nicht laut. Nur im Kopf hin und her gewälzt, seit ich die zwei Striche gesehen habe.
    »Nein«, sagt Skeet. »Wirst vielleicht nur erwachsen.« Das Licht im Bad ist dick; es durchflutet alles, nachdem er gegangen ist, den Geruch der Bucht mitgenommen hat, mich und einen Geruch nach Gebratenem zurückgelassen hat, der mich zwingt, das Wasser im Waschbecken laufen zu lassen und so leise wie möglich in die Kloschüssel zu kotzen.
    Ich knie auf dem Waschbecken. Das Becken ist aus hartem Metall, und zwischen dem Rand und der Kunststoffablage ist ein Spalt. Der schneidet mir in die Knie. Ich will sehen, wie dick ich bin, feststellen, ob man es sieht. Das hier ist der einzige abgeschiedene Spiegel im Haus. Im Wohnzimmer hängt ein großer Spiegel mit falschem Goldrahmen, aber da kann ich es nicht machen. Ichmuss mich sehen, wie Skeetah, Randall, Junior, Daddy und
Manny
mich sehen, muss hinter meine Hände sehen, die meine Augen ersetzen, Hände, die im Schlaf meinen Bauch umfangen, unter dem Rand meiner Shorts liegen, wenn ich auf wache.
    Ich stecke den Saum meines T-Shirts in meinen BH. Meine Brüste sind voll, geschwollen und empfindlich, so wie sie vor meiner Periode oft sind. Aber noch kann ich sie in meinen BH hineinquetschen. Das flache Y meines Oberkörpers geht in meine Taille über. Dunkle Flecken auf dem Bauch, wie kleine schwarze Bohnen, alte Windpockennarben aus meiner Kindheit, als ich halb verrückt vor Schmerzen drei Tage lang auf dem Sofa lag. Ich, Randall und Skeetah hatten sie gleichzeitig, und Mama hat uns wohl jede Stunde mit Kamillenlotion eingerieben, aber es fühlte sich an wie ein endloser schwarzer Tag, ein Tag wie in Alaska mitten im Winter, und zwischendrin legte sie meinen Kopf in ihren Schoß, hob mein T-Shirt hoch und rieb Entspannung und Schlaf in meine Haut. Ich hatte sogar kleine brennende Knubbel auf der Zunge.
    Ehe ich schwanger geworden bin, war mein Bauch fast flach, der Bauchnabel nach außen gestülpt, ein Outie, der aussah wie ein zugekniffenes Auge. Die Haut dunkel mit noch dunkleren Flecken. Jetzt wirke ich gar nicht mal dick, nur ein bisschen mehr als füllig. Das Auge ist einen Spalt weit geöffnet. Um den Bauchnabel herum ist eine Schicht Fleisch. Ich drehe mich zur Seite, die Füße auf den Waschbeckenrand gestützt, die Zehen in der Schüssel, mein Po auf den Fersen, die Knie nach unten gerichtet, und setze mich so gerade hin, wie es geht. Da ist es. Es ist keine Wassermelonenrundung. So groß ist es nicht. Es ist auch keine Cantaloupe-Rundung; so aufdringlich ist es nicht. Am nächsten kommt es noch der Kurve einer Honigmelone, lang und schlank. Ich drücke mit den Händen darauf, und es

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