Vor dem Sturm (German Edition)
gibt nicht nach und bildet dichte Perlenwie Fett. Es drängt zurück, prall gefüllt und warm. Ich löse mein T-Shirt. Wir teilen uns die Klamotten, daher trage ich hauptsächlich Männer-T-Shirts, weite Jeans und Baumwollshorts. Sie sehen es nicht, aber es ist da. Vielleicht hat Skeetah es gesehen, als ich aus dem Wasser kam und mich angezogen habe. Ich weiß es nicht, aber ich werde ihm jetzt keine Gelegenheit geben, es noch einmal zu sehen. Ich werde es ihn nicht sehen lassen, bis keiner von uns sich mehr aussuchen kann, was zu sehen ist, was sich vermeiden lässt, was blind ist und was uns zu Stein werden lässt.
Die Stapel, die Daddy überall auf dem Grundstück als Vorbereitung auf den Hurrikan wie Vogelnester aufgeschichtet hat, wachsen heute nicht. Daddy liegt verborgen wie eine Schlange im Sand unter seinem Kipplaster, die Beine in dunkelblauen Hosen, deren Saum er in seine Arbeitsstiefel gesteckt hat, die mal braun waren, als Mama sie ihm vor Jahren zu Weihnachten geschenkt hat, inzwischen aber schwarz geworden sind. Junior sitzt neben Daddys Füßen und gräbt Löcher in den Sand. Er glättet die Erde drum herum, sodass es keine Spuren vom Graben gibt, nur Löcher.
»Gib mir mal den Schraubenschlüssel, Junge.«
Junior hört es nicht oder hat keine Lust, sich zu bewegen. Er streicht behutsam mit den Handflächen über den Sand, so wie er immer die streunenden Hunde gestreichelt hat, die auf dem Pit lebten, bevor Skeetah China mit nach Hause brachte. Sie waren alle gefleckt, hatten die Farbe von trockenen Stöcken, von Blättern, die in der Erde vermodern und dunkel werden, und sie folgten Junior über den ganzen Hof, leckten ihm das Gesicht, wenn er sich mit Randall gestritten hatte, weil er mal wieder nicht baden wollte oder weil er schon wieder einen Schultest nicht bestanden hatte. Sie brodelten um ihn herum wie ein vom Regen angeschwollener Bach, wenn er weinend hinaus auf den Hof und in den Wald lief. Sie kuschelten sich mit ihm zusammen untersHaus. Aber China wohnt jetzt schon seit zwei Jahren bei uns, und die Hunde sind verschwunden. Ich weiß nicht mehr, ob sie sie getötet hat oder ob sie sich einer nach dem anderen des Nachts davongeschlichen haben, sobald sie an Gewicht zunahm und Gummireifen in zwei Teile reißen konnte. Junior ist und bleibt der Welpe, der zu früh entwöhnt wurde.
»Junior!«, brüllt Daddy. Ich gehe durch das zerrissene Netz aus Schatten und versuche, ungesehen an ihnen vorbeizukommen. Ich will Skeetah suchen. Er muss Medizin austeilen.
»Junior!« Daddy schlägt mit irgendeinem Werkzeug, das er gerade in der Hand hält, gegen den Rahmen des Lasters, und es dröhnt wie eine Glocke. Junior schreckt auf, abgelenkt von seinen Löchern. »Den Schraubenschlüssel!«
Junior hebt den Schraubenschlüssel auf. Für einen kleinen Jungen ist er ganz schön stark. Als er danach greift und sich bückt, sehe ich, wie seine Muskeln hervortreten. Er ist dünn, so wie kleine Jungs, wenn sie pingelige Esser sind, vor der Pubertät, und dann, wenn sie in ihre Männerkörper hineinwachsen, werden sie entweder schlank oder dick. Er legt ihn auf Daddys Bein.
»Hier«, sagt Junior leise. Ich bewege mich zu schnell, er sieht mich. Ich schüttele den Kopf, aber er sagt es bereits. »Esch. Wo willst du hin?«
»Esch! Wo sind deine Brüder? Ich brauch hier Hilfe.« Daddy ist nur eine Stimme, die wie Qualm unter dem Wagen hervorquillt.
»Weiß ich nicht.«
»Was?«, schreit er.
»Ich sagte, weiß ich nicht.« Junior steht auf, um mit mir mitzugehen. Ich gehe schneller.
»Wo’s Skeetah? Is Randall da?«, fragt Junior.
»Warte!«, schreit Daddy. »Komm mal her.«
Daddy schlängelt sich unter dem Wagen hervor. Er erhebt sichüber ihm wie der restliche Müll auf dem Grundstück: rostige Kühlschränke, die aussehen wie gefüllte Eier, die mit Paprikapulver bestreut wurden, Motorteile, eine Waschmaschine, die so alt ist, dass die Wäsche darin mit einem Metallarm herumgewirbelt wurde, der wie ein Handrührgerät aussieht.
»Setz dich auf den Fahrersitz. Wenn Junior dir Bescheid sagt, versuch, ihn anzulassen.«
»Wenn du willst, geh ich Skeetah suchen.«
»Nein.« Daddy schiebt bereits wieder eine Schulter unter den Laster. »Ich muss das heute fertig kriegen. Jetzt. Einer mit nem Kipplaster kann Geld verdienen, wenn der Sturm durch ist. José hat gestern unten in Mexiko zugeschlagen, aber im Golf haben sie schon wieder einen neuen Sturm. Tropisches Sturmtief Nummer zehn. Und der ist so
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