Vor dem Sturm (German Edition)
China rollt sich herum und steht auf. Das Brummen des Traktors ist ihr Knurren. Ihre Zehen zeigen nach vorn, ihr Kopf ist erhoben. Skeetah lässt sich zurückfallen. Der rötliche Welpe tapst auf sie zu; eine fette Milbe. China schnappt zu, schließt das Maul um den Nacken des Welpen, wie sie es macht, wenn sie ihn trägt, aber diesmal ist nichts Behutsames an der Bewegung. Ihre Augen sind ganz weiß. Sie kaut. Sie schleudert ihn durch die Luft wie einen zerbissenen Reifen, der so klein geworden ist, dass Skeetah ihn nicht mehr fassen kann.
»Nicht!«, brüllt Skeetah. »Nicht!«
Randall schaltet wieder in den Leerlauf, aber durch den kleinen Hügel, auf dem der Stall steht, rollt der Traktor zurück, als der Motor leerläuft.
»Nein!«, ruft Daddy.
Daddy kriegt seine Hand frei. Sie ist ölbeschmiert. Er drückt sie an seine Brust. Sein Hemd ist mit Öl bedeckt. Daddys Kinn hängt schlaff herunter. Er geht ins Licht des Schuppens hinüber. Das Öl auf seinem T-Shirt färbt sich rot. Der Ton, der aus seinem offenen Mund kommt, klingt wie ein Knurren.
»Nein!«, ruft Skeetah.
Das Blut auf Daddys T-Shirt hat die gleiche Farbe wie der fleischige Welpe in Chinas Maul. China schleudert ihn von sich. Er schlägt dumpf auf dem Blech auf und rutscht hinunter. Randall kommt angerannt. Big Henry kniet neben Daddy im Sand, wo Daddys Mittel-, Ring- und kleiner Finger der linken Hand liegen, sauber abgeschnitten wie gefällte Baumstämme. Das Fleisch seiner Finger ist rot und feucht, wie Chinas Lippen.
Skeetah kniet im Sand und tastet nach dem verstümmelten Welpen; er stößt mit dem Kopf und mit den Schultern gegen Blechtonnen, Werkzeugkästen und alte Kettensägen.
»Warum hast du das gemacht?«, wimmert Skeetah.
»Warum?«, flüstert Daddy Randall und Big Henry zu, die sich über ihn beugen, während das Blut seinen Unterarm hinunterrinnt. Sie halten Daddys Handgelenk fest, um die Blutung zu stoppen. Skeetah schlägt auf alles Metall ein, das ihm im Weg liegt. Chinas Maul ist blutverschmiert, und ihre Augen strahlen, wie Medea. Wenn sie sprechen könnte, würde ich sie fragen:
Ist Mutter sein so?
Der siebte Tag
KÄMPFENDE HUNDE UND
KÄMPFENDE MÄNNER
W IR WAREN ZU VIELE im Auto, als wir ins Krankenhaus fuhren. Daddy saß vorn, die Hand mit einem rot getränkten Handtuch umwickelt. Big Henry am Steuer. Junior, Randall und ich auf dem Rücksitz. Blutgeruch, wie am Golf bei Ebbe. Und dazu Hundegeruch, als säße China mitten auf dem Fahrersitz, leckte sich mit ihrer blutigen Zunge die Barthaare und drückte ihre Nase an den abwesenden Skeet. Daddy, der wimmernd ein- und ausatmete, klang wie eine größere Version der Welpen. Ich fragte mich, ob er es trotz der Schmerzen wohl bemerkte. Sein Nacken war lang und sehnig, wie der eines gebratenen Truthahns. Wir fuhren hintenrum zum Krankenhaus, kilometerlang durch den Wald, vorbei an einsamen Häusern, die wie Beuteltiere in der Dunkelheit kurz im Scheinwerferlicht auftauchten und wieder verschwanden. Ich durfte Juniors Hand halten. Als wir beim Krankenhaus ankamen, wurde Daddy von Randall und Big Henry halb durch die Tür geschleppt, halb getragen und an zwei Krankenpfleger übergeben, die dort standen, als hätten sie auf uns gewartet, und ihn in einen Rollstuhl verfrachteten. Wir setzten uns in die Eingangshalle. Die Krankenpfleger schoben Daddy neben unsere Sitze. Dann überließen sie uns der flüsternden Nachtschwester, die für die Aufnahme zuständig war. Sie erhob sich und kam mit einem Klemmbrett in der Hand hinter ihremSchreibtisch hervor; sie trug einen pinkfarbenen Kittel mit roten Herzchen darauf und rote Crocs. Daddy lehnte sich im Rollstuhl nach vorne, und das Blut rann wie ein ausgehungerter Strom an seinem Oberschenkel hinunter bis auf den Sitz. Sie fing an, Fragen zu stellen, schaute Daddy an, als er sich aufrichtete und sein Kopf nach hinten fiel, und sah seine Hand. Die Schwester hatte eine Lücke zwischen den beiden Vorderzähnen, genau wie Mama. Sie schob sich das Klemmbrett unter den Arm, legte die Hände auf die Griffe und wollte Daddys Namen wissen. Randall antwortete, während sie Daddy wegschob, und folgte den beiden.
Junior schlief aufrecht auf seinem Sitz ein und sank hinüber zu Big Henry, der krumm dasaß, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und versuchte, sich das Blut von den Fingern zu wischen. Es verteilte sich auf seiner Hand zu einem rosafarbenen, ausgefransten Fleck, wie eine Qualle. Drei Sitze von uns entfernt saß ein weißes
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