Vor dem Sturm (German Edition)
Paar; der Mann hatte eine Glatze und flaumiges Pusteblumen-Haar um die Ohren herum, die Frau hatte rote Haare, die zu einem lockigen, dünnen Afro frisiert waren, wie ihn ältere weiße Frauen oft tragen. Ihre Kleidung war sauber und an den gebügelten Säumen ausgeblichen. Alle paar Minuten rieb die Frau das goldene Kruzifix auf ihrer Brust, und der Mann nahm seine silbern gerahmte Zweistärkenbrille ab und polierte die Gläser. Sie starrten die ganze Zeit auf die Theke am Empfang, schauten nie zu Big Henry und seinen Händen, zu Juniors Füßen, die im Schlaf strampelten, als träume er vom Fallen, oder zu mir her über. Ich fragte mich, auf wen sie wohl warteten, aber ich habe es nie erfahren, denn die Schwester holte sie ab, und sie verschwanden. Der Wartebereich war sauber geschrubbt und fahl; es roch nach Putzmittel, Kaffee und Mattigkeit.
Als Randall und Daddy aus dem langen Flur wieder auftauchten, war es drei Uhr morgens. Randall sah in dem Licht älter aus als Daddy, und Daddys Augen waren glasig, so als wäre er betrunken;sie glänzten wie die gläsernen Wasserflaschen, die ich gefüllt hatte. Aber er war nicht böse. Er schlurfte neben Randall den Flur entlang, seine Hand bis zum Handgelenk verbunden und verklebt, sodass sie aussah wie ein dichter Webebär-Kokon in einem Pekannussbaum, ein Gespinst von Larven, die an den reifen grünen Blättern knabbern, um später in der Herbsthitze schwarzgeflügelt auszuschwärmen. Nur würde Daddys Hand nicht heil und quirlig wieder zum Vorschein kommen. Anstelle der Motten würde Daddys Hand der kahlgefressene Ast sein, der wie ein Knochen unter der Hülle zurückbleibt.
Jetzt schläft Daddy. So viel hat er zuletzt in der Woche nach Mamas Tod geschlafen, als ich ihn am Tisch vorfand, auf dem Sofa, neben dem Waschbecken im Bad, oder auf dem Flur mit dem Oberkörper auf der Türschwelle und den Beinen draußen. Dosen und Flaschen, hauptsächlich Bier, lagen wie kleinere Versionen seiner selbst um ihn herum, wo immer er sich aufhielt. Die Sonne steht über den Baumwipfeln, durchflutet die kleine Lichtung um das Haus herum. Alle Ventilatoren an allen Fenstern sind eingeschaltet; das Haus summt, als sei es lebendig. Big Henry schläft auf dem Sofa. Randall schnarcht in seinem Zimmer. Daddys Tür ist zu. Drei Wände des Hühnerstalls stehen noch, der Traktor berührt die eine ganz leicht, als wolle er eine dicke, muskulöse Gummischulter zum Anlehnen bereitstellen. Junior schaut sich eine Wiederholung von
Reading Rainbow
an; der Ton ist so leise, dass er kaum die Ventilatoren übertönt. Er stellt ihn nicht lauter.
Skeetah haben wir gestern Abend im Schuppen zurückgelassen. Er ist nicht mit uns zum Auto gerannt. Als wir nach Hause kamen, schlief er in seinem Bett in dem Zimmer, das er sich mit Randall teilt, in sein Bettzeug eingewickelt, sodass nur seine Umrisse zu erkennen waren. Er hatte seine Schuhe noch an, sie ragten wie Borsten an einer Zahnbürste aus seiner Bettdecke heraus.
Anstelle des Vorhangs hatte er ein Stück Blech angeschleppt, das er vermutlich vom Dach von Mother Lizbeth und Papa Josephs Haus geholt hatte, und es in die Türöffnung des Schuppens gezwängt. China lag wie ein blasser Biskuitteig-Klumpen draußen im Sand; ihre Kette war an einer halb verrosteten Autokarosserie festgemacht. Er hatte sie von den Welpen getrennt. Als ich heute Morgen aufwachte, war er weg. China auch.
Daddy sitzt an seine Kissen gelehnt im Bett, als ich mit einer Schale Hühnernudelsuppe in sein Zimmer komme. Ich trage die Suppe auf einem Topflappen, und sie schwappt leicht über den Rand. Daddy isst Cracker, einen nach dem anderen, steckt sie sich zwischen die Lippen und zieht sie sich in den Mund. Sein Kauen klingt wie Papier, das zusammengeknüllt wird. Ich stelle Schüssel und Löffel auf den Nachttisch, wo schon ein Glas Leitungswasser, eine Budweiser-Dose, die er als Aschenbecher benutzt hat, und seine Medikamente gegen Schmerzen und Wundinfektion stehen. Sein Arm liegt auf einem Berg aus alten Decken und Häkelkissen, die Randall gestern Abend aufgestapelt hat. Daddy starrt auf den alten Schwarz-Weiß-Fernseher, der gegenüber vom Bett auf der breiten Spiegelkommode steht. Seit Mamas Tod hat er nichts in diesem Zimmer verändert: Dort stehen kleine gläserne Kerzenhalter mit pfirsichfarbenen Kerzen darin und die beiden kleinen Kunstblumensträuße in den gedrungenen, tassenähnlichen Vasen, die Mama links und rechts auf der Kommode platziert hat. Ein paar Fotos
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