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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Karton wackelt, und er sieht aus, als wolle er damit werfen.
    Big Henry macht den Kofferraum zu und hebt seine großen Handflächen, als wolle er uns beschwichtigen.
    »Hört zu, wir haben ein bisschen was übrig. Mama und ich haben Anfang des Sommers kistenweise Getränke und Konserven eingekauft, und seitdem haben wir uns aus ihrem Garten ernährt,damit sie länger halten. Marquise hat bestimmt auch was übrig, denn seine Mama schimpft schon seit geraumer Zeit, dass er zu viel isst, weil sie auch sichergehen will, dass sie im Fall der Fälle genug zu essen haben. Skeetah, du brauchst kein Hundefutter zu essen.«
    »Es ist salzig. Schmeckt wie Pekannüsse. Wenn es ganz schlimm kommt, dann essen wir eben das gleiche wie China.« Skeetah streicht China von der Schulter bis zum Hals übers Fell, an ihrem messerscharfen Kiefer entlang, und hält ihr Gesicht fest, das durch die nach vorne geschobene Haut ganz faltig wird. Es sieht aus, als wolle er sie zu sich heranziehen, um ihr einen Kuss zu geben. Sie blinzelt. Ich würde ihr am liebsten einen Fußtritt verpassen. Randall schultert seinen Karton, nimmt mir den Nudelkarton ab und dreht sich um, um ins Haus zu gehen. Junior bindet sein Verlängerungskabel gerade an einen alten Rasenmäher und zerrt daran, als würde er Tauziehen spielen. Die Sonne scheint, funkelt wie Feuer, dringt durch die Lücken zwischen den Bäumen und lässt Skeetah und China, die Auge in Auge voreinander knien, hell leuchten. Skeetah hat die Unterhaltung bereits vergessen, und China hat sie gar nicht erst gehört.
    »Wir sind keine Hunde«, sagt Randall. »Und du auch nicht.« Er geht zwischen Daumen und Zeigefinger des Hauses hindurch, es ballt sich zur Faust, und er ist verschwunden. Der Tag bewölkt sich und bleibt so.

Der zehnte Tag
    IM ENDLOSEN AUGE
    I CH HABE S KEETS E IER und Fleischwurst gegessen. Er war draußen im Schuppen bei China, hat sie sauber gemacht. Ich habe alles aufgegessen und dann noch den Teller abgeleckt. Ich hätte auch den Teller noch essen können. Randall warf mir einen kurzen Blick zu und fing dann an, alle Dosen aus dem Schrank zu holen. Wir setzten uns an den Küchentisch und sortierten, stapelten und zählten sie: vierundzwanzig Dosen Erbsen, fünf Dosen Schmalzfleisch, eine Dose Tomatenmark, sechs Dosen Suppe, vier Dosen Sardinen, eine Dose Mais, fünf Dosen Thunfisch, eine Schachtel Cracker, ein paar Cornflakes, die man ohne Milch essen könnte. Der Reis, der Zucker, das Mehl und der Maisgrieß waren nutzlos. Und wir hatten fünfunddreißig Päckchen Fertig nudeln.
    »Scheiße!«, brüllte Randall und warf die Dose Tomatenmark, die er in der Hand hatte, quer durch den Raum. Draußen zwischen den Gebäuden blies der Wind.
    Nach dem Frühstück höre ich sie reden, als ich im Bad bin. Der Hahn draußen kräht, und China antwortet ihm mit einem Bellen. Sie sind in Daddys Zimmer. Als ich pinkele und mich vorbeuge, um ein Stück Klopapier abzureißen, drückt sich mein Bauch beharrlich in meine Oberschenkel. Ich ignoriere das, mache leise die Tür auf und schleiche mich in den Flur, um Randall und Daddy durch die offene Tür zu belauschen.
    »Ich weiß«, sagt Randall. »Trotzdem haben wir nicht genug.«
    »Ihr esst sie doch sowieso immer trocken.«
    »Junior isst sie trocken, sonst keiner.«
    Daddy atmet tief ein, sodass ich den Widerstand des Schleims in seiner Kehle hören kann, und dann hustet er ihn aus.
    »Ich habe genug Geld, falls es nach dem Sturm einen Notfall gibt. Man kann nie wissen, was passiert.«
    »Aber was ist –«
    »Es sind nur ein paar Hundert, Junge«, sagt Daddy mit pfeifender Stimme. Er hat immer nur Randall so genannt, und auch ihn nur ein paar Mal. »Ich hab dafür gesorgt, dass wir genug Konserven haben, um ein paar Tage auszukommen. Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Ich glaube nicht, dass es genug ist.«
    »FEMA und das Rote Kreuz kommen immer mit Essen durch. Bis dahin reicht’s. Wenn es nicht allzu schlimm wird, haben wir vielleicht sogar noch Gas.«
    »Alle wachsen noch, Daddy. Esch, Junior, ich. Sogar Skeet. Wir haben Hunger.«
    »Wir kommen zurecht mit dem, was wir haben.« Daddy hustet. »So war es immer, und so bleibt es auch.« Er räuspert sich und spuckt aus. »Eure Mama –« sagt er und hält inne. »Habt ihr meinen Ehering gefunden?«
    »Jo. Junior hat ihn gefunden«, sagte Randall. »Ich hol ihn dir.«
    Und dann höre ich nur noch das Geräusch des Ventilators auf Daddys Kommode, der kräftig und gleichmäßig bläst und

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